Die Schwörzeremonie: Eine reichsstädtische Tradition
In der ehemals freien Reichsstadt war die Feier des Schwörtags das zentrale verfassungspolitische Ereignis.
Bei der Schwörzeremonie schworen die Verantwortlichen, sich an die Regeln zu halten und sich für das Wohl der Stadt einzusetzen. Ziel war es, den Zusammenhalt zu stärken, Streit friedlich zu lösen und gemeinsam Verantwortung zu tragen. Diese Tradition kann man als frühen Anfang von kommunaler Demokratie sehen – und sie passt auch heute noch gut in unsere Zeit.
Heute findet die Schwörzeremonie in moderner Form statt. Sie steht für zivilgesellschaftliches Engagement, bürgerschaftlichen Zusammenhalt und kommunalpolitische Mitwirkung. Sie lädt die Stadtgemeinschaft ein, sich zu engagieren und solidarisch füreinander da zu sein.
Das Schwörfest beginnt am Freitag mit der feierlichen Zeremonie im Schwörhof. Dort legen Oberbürgermeister, Gemeinderat und die anwesende Bürgerschaft ihr Versprechen für die Stadtgemeinschaft ab.
Schwörtag 2025
Schwörtagsrede: Oberbürgermeister Matthias Klopfer
Esslingen am Neckar, 4. Juli 2025 - es gilt das gesprochene Wort
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
heute ist ein besonderer Tag für unsere Stadt – ein Tag, der uns verbindet, der uns an unsere gemeinsame Verantwortung erinnert und zugleich tief in unserer Geschichte verwurzelt ist: der Schwörtag in Esslingen am Neckar.
Wenn wir heute zusammenkommen, knüpfen wir an eine lange und stolze Tradition an. Schon im Mittelalter, als Esslingen eine Freie Reichsstadt war, versammelten sich die Bürgerinnen und Bürger auf dem Rathausplatz, um den Schwur des Stadtoberhaupts zu hören – einen Eid auf das Wohl der Stadt, auf Gerechtigkeit und Treue zum Gemeinwesen. Es war ein Akt der demokratischen Kultur, lange bevor dieses Wort überhaupt erfunden war.
In jener Zeit war Esslingen direkt dem Kaiser unterstellt – und nicht einem Fürsten –, was uns ein hohes Maß an Selbstbestimmung und Unabhängigkeit sicherte. Das Bürgertum sprach mit, forderte Rechenschaft, übernahm Verantwortung. Diese Haltung prägt unser städtisches Selbstverständnis bis heute: frei, eigenständig, engagiert.
Am heutigen Schwörtag führen wir diese Tradition fort – nicht aus nostalgischer Erinnerung, sondern als lebendige Verpflichtung: für ein offenes, faires und solidarisches Miteinander in unserer Stadt.
Die Geschichte verpflichtet
Diese Geschichte verpflichtet uns – nicht nur in feierlichen Worten, sondern im alltäglichen Handeln. Denn der Geist von damals lebt weiter, wenn wir heute Verantwortung füreinander übernehmen, wenn wir zuhören, mitgestalten und zusammenstehen – in einer Stadt, die für Vielfalt, Zusammenhalt und Zukunftsorientierung steht. Gerade in Zeiten des Wandels und der Herausforderungen – ob sozial, wirtschaftlich oder ökologisch – zeigt sich, wie wichtig ein starkes Miteinander ist. Esslingen ist nicht nur ein Ort mit reicher Vergangenheit, sondern eine Stadt voller Leben, voller Ideen, voller Menschen, die etwas bewegen wollen.
Blick nach vorn
Lassen Sie uns deshalb nun gemeinsam den Blick nach vorn richten: auf das, was uns heute bewegt, was wir erreicht haben – und was wir noch erreichen wollen.
Esslingen steht gut da – und das ist kein Selbstläufer. Es ist das Ergebnis engagierter Arbeit vieler Menschen: in Verwaltung, Gemeinderat, Unternehmen, Kirche, Vereinen, in Schulen, Nachbarschaften und in den vielen stillen Bereichen, in denen Solidarität ganz selbstverständlich gelebt wird. Ihnen allen gilt heute mein besonderer Dank.
Unsere Stadt wächst – an Einwohnern, an Ideen, an Aufgaben. Wir entwickeln neue Wohnquartiere mit bezahlbarem Wohnraum, stärken den öffentlichen Nahverkehr, setzen auf nachhaltige Mobilität und gestalten die Innenstadt so, dass sie lebendig bleibt und für alle Generationen ein Ort der Begegnung ist. Dabei achten wir stets auf den sozialen Ausgleich. Denn: Esslingen soll eine Stadt für alle bleiben.
Entwicklungen in der Innenstadt
Lassen Sie mich kurz zu zwei Punkten etwas sagen. Als Erstes zur Innenstadt.
Unsere Innenstadt steht in der Zeitung oft in der Kritik – teilweise gerechtfertigt, meist aus meiner Sicht aber nicht. Und wer zum Beispiel am Samstag das Schwäbische Tagblatt aufschlägt kann dort lesen, dass Esslingen als positives Beispiel gesehen wird. Das sieht auch ChatGPT so: Nach meiner Frage nach der attraktivsten Stadt in Region Stuttgart zum Leben, zum Einkaufen, zum Flanieren kam dort eine eindeutige Antwort: „Esslingen am Neckar – Gesamtsieger für urbanes Leben und Flair“. Und kann KI irren, auf die wir uns doch ansonsten wie selbstverständlich verlassen?
Und ganz konkret: Jetzt im Juli rollen die Bagger und Laster an, es geht los bei der Revitalisierung des Karstadt-Areals! Drei Jahre Baustelle, das wird anstrengend, keine Frage. Aber es entstehen 12.000 Quadratmeter Handels- und Gewerbeflächen und dazu 170 neue Wohnungen in bester Innenstadtlage, ein dreistelliges Millionenprojekt, um das uns viele beneiden. Der Marktplatz wird umgebaut, mit mehr Bäumen, Wasser, weniger Autos, mehr Sitzmöglichkeiten ein wunderbares neues „Wohnzimmer“ für uns alle.
Übrigens: Unsere Klinik hat dasselbe Volumen, auch der Neubau der Hochschule Esslingen – alleine bei diesen drei Projekten wird über eine halbe Milliarde Euro in unsere Stadt investiert! Herzlich willkommen und besten Dank an das Land Baden-Württemberg, Frau Staatssekretärin Lindlohr, für dieses herausragende Engagement in die Zukunft in unserer Stadt.
Über was ich mich sehr freue: Gemeinsam mit der Hochschule Esslingen wollen wir uns auf den Weg machen, auch das Thema KI in unserer Stadt intensiv voranzutreiben – nicht zuletzt um die Stadt Esslingen als starken Wirtschaftsstandort zu sichern und zu stärken. Im aktuellen FOCUS schreiben dazu die Biontech-Gründer: „Gerade die Kombination von KI und Ingenieurgesellschaften bieten enorme Potenziale“. Was für eine Chance für uns! Auch die Region Stuttgart könnten wir wahrscheinlich mit unserem Projekt einer „Zukunftsfabrik Esslingen“ überzeugen!
Besten Dank an die Region und an Sie, lieber Herr Professor Wolfmaier, für die gemeinsame Initiatiave, und an Sie, lieber Herr Landrat Musolf und an den Vorstand der Kreissparkasse Esslingen, lieber Herr Scholze, für das sehr gute Miteinander auch in diesem Projekt. Und ja, jetzt gibt es einige, die sagen, schaut mal nach Heilbronn, dort entsteht mit dem IPAI der größte Innovationspark in Europa für Künstliche Intelligenz.
Ich sage: Zum Glück, hier in der Metropolregion Stuttgart, von Esslingen bis Heilbronn, entsteht ein „Neckar-Valley“ für Künstliche Intelligenz!
So nebenbei angemerkt: Wir planen auf dem alten Stadtwerkegelände auch ein neues städtisches Pflegeheim, Beschluss dazu folgt schon bald im Gemeinderat.
Der Neckaruferpark wird die Weststadt – die auch Teil der Innenstadt ist – dieses Quartier weiter aufwerten. Und übrigens: Jedes Jahr kommen mehrere hunderttausend Besucher ins DICK, die neuen Bowlingbahnen wurden gerade als bestes internationales neues Bowlingcenter ausgezeichnet – und wie war das nochmals mit der angeblich so unattraktiven Innenstadt …
Beim Thema Innenstadt erwarten Sie natürlich auch eine kurze Einschätzung zur aktuellen Situation bei der Stadtbücherei. Der Gemeinderat hat am vergangenen Montag mit knapper Mehrheit den Umzug der Stadtbücherei in das ehemalige Modehaus Kögel beschlossen. Gleichzeitig wurde angekündigt, dass ein Bürgerbegehren auf den Weg gebracht wird.
Daher werden wir den Beschluss selbstverständlich vorerst nicht umsetzen bis klar ist, ob ein Bürgerentscheid kommt. Sollte es wie geplant weitergehen, könnte die Stadtbücherei im Jahr 2028 in das ehemalige Modehaus Kögel umziehen.
Aus meiner Sicht ist das nach wie vor die sehr gute Lösung für eine topmoderne Stadtbücherei, wie sie einer Stadt wie Esslingen gut zu Gesicht steht – mit deutlich mehr Arbeitsplätzen für Schülerinnen, Schüler und Studierende, mit deutlich mehr Aufenthaltsflächen, mit Transparenz in die Innenstadt hinein und für alle sichtbar mitten im Herzen unserer Stadt. Gleichzeitig werden wir ein Konzept erarbeiten, wie aus dem Bebenhäuser Pfleghof der Mittelpunkt eines Kulturquartiers werden kann – mit ebenso hoher Anziehungskraft für die Esslingerinnen und Esslinger und für die vielen Gäste in unserer Stadt.
Meine Bitte an uns alle als Stadtgesellschaft: Lassen wir uns durch die Entscheidung zu Stadtbücherei nicht auseinanderdividieren. Wir haben so viele Chancen, die Zukunft gemeinsam zu gestalten - auch wenn es unterschiedliche Ansichten gibt, wie die Lösungen für unsere Stadt aussehen sollen. Lassen Sie uns an der Sache durchaus hart diskutieren, lassen Sie uns aber auch respektvoll miteinander umgehen. Schließlich sind wir alle Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt, deren Bestes wir alle wollen.
Entwicklung der finanziellen Lage
Als Zweites will ich etwas zur wirtschaftlichen und finanziellen Lage sagen. Wir sind gerade mitten in der Aufstellung des Doppelhaushaltes 2026/2027. Noch sind die Wünsche größer als die die finanziellen Möglichkeiten, angesichts zurückgehender Gewerbesteuereinnahmen, steigenden Personalausgaben und einem steigenden Defizit unserer Klinik. Aber wir werden dem Gemeinderat im Oktober einen ordnungsgemäßen Haushalt vorschlagen können.
Weil wir in der Vergangenheit gut gewirtschaftet haben. Und deshalb weiter in die Schulen und die Kitas, in die Pflegeheime und die Klinik, in die Sporthallen und die Vereine, in die Kultur, in die Feuerwehr, in den Wohnungsbau und die Innenstadt und die Stadtteile, in den ÖPNV und den Radwegebau, investieren zu können, um nur wenige Beispiele zu nennen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, durch meine vielfältigen beruflichen Aufgaben bin ich viel in Deutschland unterwegs. Mit knapp 100.000 Einwohnern stehen wir an Platz 87 der größeren Städte in Deutschland – und ich kann Ihnen versichern, dass uns viele Städte um unsere Chancen beneiden.
Sind wir für diese Aufgaben an der Verwaltungsspitze gut aufgestellt? Der gemeinsame Vorschlag der vier großen Fraktionen und von mir für ein zusätzliches Dezernat war sicherlich gut begründet. Aber kam wahrscheinlich zur falschen Zeit. Ich kann zusagen: Es wird von mir keinen Vorschlag mehr in diese Richtung geben. Aber selbstverständlich muss unsere Verwaltungsstruktur auf den Prüfstand. Denn wir sind als größter Arbeitgeber in der Stadt, mit mehr als 5.000 Beschäftigten, mehr als einer Milliarde Bilanzvolumen, im tiefgehenden Transformationsprozess gut beraten, die Spitze unserer Stadt nicht nur personell, sondern auch organisatorisch sehr gut aufzustellen. Und immer wieder neu zu überprüfen, das gehört zu einer professionellen Führung der Stadt dazu.
Wie können wir die Mobilitätswende besser gestalten? Wie die Digitalisierung vorantreiben? Wie den Wandel der Innenstadt noch aktiver begleiten? Wie die Transformation der Wirtschaft begleiten? Wie die Neckartal attraktiver machen, gemeinsam mit Stuttgart und Ludwigsburg, für die Bundesgartenschau? Wie intensiver mit anderen Kommunen zusammenarbeiten? Wie die Energiewende gestalten, den Netzausbau planen und umsetzen?
Große Herausforderungen
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir stehen vor großen Herausforderungen, einige habe ich genannt. Was mir wichtig ist: Gemeinsam sind wir aufgefordert, alle mitzunehmen, auch die Schwächeren, damit es zu keiner sozialen Spaltung kommt. Und gemeinsam müssen und wollen wir Verantwortung für die Zukunft übernehmen, auch und insbesondere für die Folgen des Klimawandels. Wir wollen bis 2040 klimaneutral sein. Da gibt es sehr viel zu zu tun. Auch, weil wir alle, seit den 70er Jahren, uns nicht ausreichend angestrengt haben.
Schon 1972 wurde der Erste Bericht des Club of Rome vorgestellt. Seitdem weiß die Politik, wissen die Bürgerinnen und Bürger, dass gehandelt werden muss, für ein gutes Leben für alle auf dieser Erde. Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Einiges ist passiert – aber eben zu wenig. Wir müssen uns mehr anstrengen. Mir persönlich kommt dieses Thema aktuell viel zu kurz in der Politik.
Deshalb haben wir zum heutigen Schwörtag Andreas Huber, Geschäftsführer des Club of Rome. Herzlich willkommen mit Ihrer Frau in Esslingen!
Die letzten Tage haben uns aufgezeigt, was Hitze mit uns Hitze, mit unserer Umwelt. Der Grundwasserspiegel ist auf einem historischen Tiefstand. Das Mittelmeer ist überhitzt, hat schon Ende Juni teilweise mehr als 30 Grad, auch der Atlantik weist Rekordwerte auf. Wir werden in Deutschland, in Esslingen, uns an den Klimawandel anpassen können. Aber was ist in Südeuropa, in Afrika, in Asien, aber auch in den Polargebieten? Wie können wir die große Aufgabe des Klimawandels anpacken, mit positiver Haltung, mit Zuversicht? Und was können wir vor Ort tun? Ich freue mich sehr auf Ihren Vortrag, lieber Herr Huber.
Mut, kluge Entscheidungen und offener Dialog
Wir können all die großen und und kleinen Aufgaben nicht mit alten Antworten lösen, sondern nur mit Mut, Mut zur Veränderung, Mut zu neuen Antworten. Und im offenem Dialog.
Was mich dabei zuversichtlich macht, ist der Geist unserer Stadt: das starke bürgerschaftliche Engagement, die Offenheit für Neues, und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen – im Großen wie im Kleinen. Das ist die eigentliche Stärke Esslingens: nicht nur die Mauern unserer Vergangenheit, sondern das Miteinander unserer Gegenwart.
Was ich mir wünsche: Das Bewusstsein, wie gut es uns insgesamt, trotz aller Probleme, die es unzweifelhaft bei uns gibt. Aber nur drei Flugstunden südlich von uns entfernt ist Krieg im Gazstreifen, drei Stunden östlich von uns in der Ukraine. Und kein Ende absehbar.
Lieber Kollege Postiko aus Kamianets-Podilsky,
wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann Frieden. Für uns alle. Vor allem aber für Ihr Land, für Ihre Stadt. Sie kämpfen seit dem 24. Februar 2022 für die Freiheit Ihres Landes, aber auch für die Freiheit Europas. Und es ist kein Ende absehbar des barbarischen Angriffskrieges von Russland gegen die Ukraine. Putin wird in vielen Ländern als Staatsmann empfangen – als gesuchter Kriegsverbrecher. Er lässt Frauen vergewaltigen, Gefangene misshandeln, jeden Tag zivile Einrichtungen angreifen, tausende von ukrainischen Kindern entführen. Wie soll hier in Zukunft Versöhnung möglich sein, Nachbarschaft? Aus unserer eigenen Vergangenheit wissen wir, dass dies möglich sein kann. Möglich sein muss. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Kraft und versichern Ihnen, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten Ihre wunderschöne Stadt weiterhin unterstützen werden.
Wir freuen uns sehr, dass Sie mit einer größeren Delegation bei uns zu Gast sind und hoffen, dass wir auch schon sehr bald Sie und Ihre Stadt besuchen können!
Lieber Stadtdirektor Lasek aus Piotrokow Tribunalski,
auch Ihnen ein herzliches Willkommen zum Schwörtag! Unser neuer Kanzler Merz hat gleich an seinem ersten Arbeitstag das richtige Signal gesendet, mit einem Besuch in Frankreich und in Polen. Mit Ihrer Grenze zu Belaruss und der russischen Provinz Kaliningrad haben Sie nochmals einen ganz anderen Blick auf die Situation in Russland. Ihre Verteidigungsausgaben betragen schon heute 4,1 Prozent, bei uns sind es zwei Prozent – vollkommen zurecht machen sich nun die NATO-Staaten auf den Weg, das Bündnis verteidigungsfähig zu machen und den Anteil auf fünf Prozent zu erhöhen. An dieser Stelle begrüße ich auch sehr herzlich die Vertreter des Marineunterstützungskommandos aus Wilhelmshafen. Vielen wird die letztjährige Schwörtagsrede von Kapitän von der Lühe noch in Erinnerung sein.
Herzlich willkommen in Esslingen an unsere polnische Delegation, auch im Namen unseres Ehrenbürgers Wolfgang Drexler, der diese Städtepartnerschaft maßgeblich mit vorangetrieben hat!
Ich unterstütze diesen neuen Weg in der Verteidigungspolitik ausdrücklich. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Bundestagsabgeordneten Dr. Preisendanz und Dr. Schäfer, aus meiner Sicht ist es auch geboten, dass wir in Berlin entschieden wird, was nicht mehr finanziert werden. Wenn mehr als die Hälfte des Bundeshaushaltes für Verteidigung und die Rentenpolitik ausgegeben wird, sind Belastungen an anderer Stelle unumgänglich, Reformen müssen angepackt werden – und zwar heute, nicht erst in der nächsten Periode des Bundestages. Die letzte große Reform der Sozialversicherungen war die Agenda 2010 im Jahr 2003 – angesichts des Pflegenotstandes, der explodierenden Kosten des Gesundheitssystems und den steigenden Zuschüssen zur Rentenversicherung sind Reformen überfällig, ebenso wie ein massiver Abbau der Subventionen und eine umfassende Reform der staatlichen Verwaltung und Bürokratieabbau. Aber nicht mit der Kettensäge, sondern verantwortungsvoll und abwägend, wie es einem demokratischen Rechtsstaat angemessen ist.
Demokratie im Herzen der Stadt
Meine Damen und Herren, der Schwörtag erinnert uns daran, dass Demokratie nicht nur in Gesetzen verankert ist – sondern im Herzen einer Stadt, in ihrem gelebten Alltag. Es ist die Bereitschaft, Verantwortung füreinander zu übernehmen, Brücken zu bauen und das Gemeinsame über das Trennende zu stellen.
So wie die Oberhäupter der Freien Reichsstadt einst ihren Eid ablegten, so möchte auch ich heute, auch im Namen meiner Bürgermeisterkollegen und damit für unsere gesamte Verwaltung, mein Versprechen erneuern – gegenüber Ihnen allen, in modifizierter Form:
Ich schwöre, mich mit aller Kraft für das Wohl unserer Stadt einzusetzen. Für eine Politik des Zuhörens, des Ausgleichs, der Zukunft. Für ein Esslingen, das menschlich bleibt – gerecht, solidarisch, mutig und offen.
Für den Gemeinderat wird anschließend Stadträtin und Fraktionsvorsitzender Der GRÜNEN Carmen Tittel den Schwur sprechen.
Lassen Sie uns diesen Schwur miteinander tragen – als Gemeinschaft, die ihre Geschichte kennt, ihre Gegenwart gestaltet und ihre Zukunft mit Zuversicht baut.
Ich danke Ihnen von Herzen – für Ihr Vertrauen, für Ihr Engagement für unsere besondere Stadt Esslingen am Neckar.
Lassen Sie uns diesen Tag, dieses Wochenende feiern – und das, was uns verbindet.
Festrede: Andreas Huber, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft Club of Rome
Zukunft in lokalen Händen: Was wir heute schwören, entscheidet über das Morgen
Festrede von Andreas Huber bei der Schwörtagszeremonie, 4. Juli 2025, Esslingen
Es gilt das gesprochene Wort
Liebe Esslinger:innen, liebe Gäste aus den Partnerstädten,
(Huber hält ein altes Telefon mit Wählscheibe hoch)
Wer von Ihnen hat noch mit so einem Telefon telefoniert?
Ich habe dieses Telefon vor wenigen Tagen meinen beiden fünfjährigen Zwillingstöchtern Merlin und Yuna gezeigt. Sie hätten deren Blicke sehen sollen, als ich ihnen erklärte, dass es sich um ein Telefon handelt und ich als Kind noch mit so einem Ding telefoniert habe.
Ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie schnell etwas, das noch vor wenigen Jahrzehnten völlig normal war, aus heutiger Sicht absurd und undenkbar wirkt.
Im Jahr 2065 werden Merlin und Yuna so alt sein wie ich heute. Ich wünsche mir für die beiden – wie natürlich für alle Kinder –, dass sie es dann als ähnlich absurd empfinden wie wir dieses Telefon, wenn sie sich daran erinnern,
- dass es in ihrer Kindheit und Jugend noch eine Zivilisation gab, die nicht nahezu vollständig mit erneuerbaren Energien betrieben wurde,
- dass es völlig normal war, in Städten dem Auto so viel Platz zur Verfügung zu stellen,
- oder dass wir nicht in Kreisläufen gedacht haben und beispielsweise pro Minute über 5.000 Kaffeebecher in den Müll geschmissen haben.
Um die Zukunft so zu gestalten, wie ich sie mir für unsere Kinder in 40 Jahren wünsche, braucht es natürlich andere Technologien und Prozesse. Allerdings ist Nachhaltigkeit für mich keine Frage von Technologie, Gesetzen und Verboten. Nachhaltigkeit ist für mich eine Frage der Haltung. Nachhaltigkeit ist für mich eine Frage der Haltung – und beginnt mit der Frage: „Wer will ich sein?“ oder auch “Wer, will ich gewesen sein?”.
Was denken Sie, wie werden die Menschen in 50 oder 100 Jahren auf uns heute zurückblicken? Gehen wir als die Generation Gier und Ignoranz in die Geschichte ein? Ich hatte vor einigen Jahren einen sehr emotionalen Moment. Ich las ein Buch von Jostein Gaarder, manche kennen ihn vielleicht als Autor von “Sofies Welt”. Das Buch, das ich von ihm las und mir eine Gänsehaut bereitete heißt „2084 – Noras Welt“.
Die Geschichte handelt von der 16-jährigen Nora, die immer wieder von der Zukunft im Jahr 2084 träumt. In dieser Zukunft erlebt sie die Welt als ihre eigene Urenkelin. Einmal beschreibt sie einen Traum, wie sie als Urenkelin über sich selbst – als Uroma – empfand:
„Ich hatte eine richtig schwere Beziehung zu dieser Urgroßmutter. Ich hatte sie irgendwie sehr gern, und gleichzeitig hab ich sie dafür gehasst, dass sie zu einer der gierigen Generation gehörte, die vor mir gelebt und ganz genau gewusst hatten, in welche Richtung die Entwicklung ging. Sie hatten es gewusst und trotzdem nie wirklich versucht, einen neuen Kurs einzuschlagen.“
Der Club of Rome hat 1972 das Buch “Die Grenzen des Wachstums” veröffentlicht. Die Kernbotschaft war, dass begrenzte Ressourcen nicht unbegrenztes Wachstum ermöglichen können. Selbst, wenn wir immer bessere Technologien erfinden oder neue Ressourcen entdecken, wird das Wachstum nicht uneingeschränkt weitergehen, weil die Kosten hierfür ebenso ansteigen. Das Buch sollte aber die Menschen aber auch sensibilisieren für etwas, das unser Gehirn nur schwer leisten kann: Langfristiges Denken, Planung in komplexen Systemen und die Dynamik von exponentiellen Ereignissen.
Der aus meiner Sicht wichtigste Satz steht aber auf der letzten Seite. „Der Mensch muss sich selbst – seine Wertevorstellungen und Ziele – erforschen”.
Die Anregung und die Inspiration zur (Weiter)Entwicklung jedes Einzelnen war eine der zentralen Botschaften aus den Anfangsjahren des Club of Rome. Aurelio Peccei – der für viele als der Gründer des Clubs gilt – bezeichnete den Club of Rome auch als ein „Abenteuer des Geistes“. Für ihn lagen sowohl die Ursache unserer Probleme, wie auch die Lösungen, im Menschen selbst:
„Man sucht den heilsamen Fortschritt vor allem außerhalb des Menschen und nicht in einer Besserung unserer eigenen Denk- und Verhaltensweisen.“
Daran möchte ich anknüpfen. Meine Festrede trägt den Untertitel: „Was wir heute schwören, entscheidet über das Morgen. “Ich möchte Ihre kommunalen Vertreter:innen – aber auch uns alle – heute einladen, sich auf drei Haltungen einzuschwören: 1. Weitsicht, 2. Mut und 3. Neugier
1. Weitsicht
Mit Weitsicht meine ich das Erkennen, dass die Welt sich verändert – ob wir das wollen oder nicht. Wir können das, was ist, nicht ewig festhalten. Denken Sie zurück an mein Beispiel mit dem Telefon. Das ist natürlich ein triviales Beispiel, aber überlegen sie, wie sehr sich die Welt seit ihrer Kindheit verändert hat. Und aktuell leben wir in einer Zeit, in der vermutlich noch viel radikalere Umbrüche und Veränderungen anstehen werden; es gibt viele Themenbereiche, über die ich sprechen könnte, aber was für mich im Zentrum steht – und auch ursächlich ist für viele andere Bereiche, in denen wir Umbrüche erkennen – sind die ökologischen Systeme.
Denn die Stabilität dieser ökologischen Systeme sind die Grundvoraussetzung für die Zivilisation, wie wir sie kennen. Erst als vor etwa 8.000 Jahre die bis dahin starken Schwankungen im Klimasystem stabiler wurden, konnten wir sesshaft werden, Ackerbau und Viehzucht betreiben – und den Rest der Geschichte kennen Sie.
Doch jetzt steuern wir auf eine Phase der Instabilität hin. Aktuell haben wir bereits 6 von 9 sogenannten planetaren Grenzen überschritten. Das heißt, dass wir zwei Drittel unserer globalen Erdsysteme über die Maßen hinaus belasten.
Was passiert, wenn Sie längere Zeit schlecht oder gar nicht schlafen?
Anfangs sind wir müde, haben vielleicht Kopfschmerzen, sind gereizt, uns wird schwindelig. Wir sind insgesamt weniger belastbar, weil wir unserem Körper die Möglichkeit zur Regeneration entziehen. Massiver Schlafentzug über längere Zeit wirkt sich auf unser gesamtes Herz-Kreislaufsystem aus – und kann sogar lebensbedrohlich werden.
Indem wir die planetaren Grenzen kontinuierlich überschreiten, entziehen wir unserem Planeten ebenfalls die Möglichkeit zur Regeneration.
Markus Söder sagte im letzten Jahr als Bayern mit den Fluten kämpfte, mit so etwas konnte niemand rechnen. Das ist schlicht falsch. Die Wissenschaft sagt uns allen seit Jahrzehnten, dass die Wahrscheinlichkeit für Fluten, Dürren und Hitzeperioden steigt. Übrigens exponentiell. Wir verweigern uns nur dieser Weitsicht und beharren viel zu gerne auf unseren Standpunkten.
Unser Mitglied Dr. Eckart von Hirschhausen sagt dazu immer gerne: Wir gehen mit dem Klimawandel um, wie das nächtliche Aufwachen mit voller Blase. Wir wissen es. Dennoch: Wir wissen genau, was zu tun ist. Wir wissen auch: Das geht nicht von allein weg. Und trotzdem? Wir schließen die Augen – und schlafen nochmal ein.
Ich möchte aber noch einmal betonen: Der Klimawandel wurde von mir jetzt nur als ein Beispiel hervorgehoben. Auch, weil er natürlich gerade im Kontext der Stadtentwicklung sehr relevant ist. Dennoch: Es geht mir um die Weitsicht, dass wir in einigen Jahren mit massiven Veränderungen insgesamt konfrontiert sein werden. Das zu erkennen und Veränderungen zu gestalten, statt sich irgendwelchen Dynamiken auszusetzen erfordert vor allem Mut.
2. Mut
Denn: Es braucht Entscheidungen, dass wir das, was wir heute schon wissen und können, auch umsetzen. Ich möchte an der Stelle noch unser Mitglied Prof. Christian Berg zitieren, der sagt, dass wir oftmals natürlich auch nicht genau wissen, was die richtige Lösung ist. In diesem Fall empfiehlt er zumindest mal damit anzufangen, von dem wir wissen, dass es in jedem Fall falsch ist. Weiterhin Öl und Gas zu verbrennen ist beispielsweise falsch. Natürlich können wir das nicht von heute auf morgen ändern, aber richtig falsch wird es dann, wenn wir weiterhin Entscheidungen treffen, die genau diese weitere Verwendung fördern. Konkret für eine Stadt bedeutet das: Wie bekommen wir unsere Gebäude warm? Wie bewegen wir uns fort?
Ich persönlich antworte auf die Frage, woran man sich orientieren könne, gerne mit der Frage: Was generiert Lebendigkeit?
Die Fähigkeit unseres Planeten Erde Leben zu ermöglichen und zu generieren – die sogenannten Biokapazität - ist gesunken. Deshalb ist mein Leitstern, mich daran zu orientieren, wie wir diese Fähigkeit wieder erhöhen können. Also zum Beispiel durch einen Garten, der der Artenvielfalt dienlich sind. Was mir besonders gefällt: Ich weite das gerne aus auf mich selbst und meine Mitmenschen: Also was erzeugt Lebendigkeit in mir? Wann haben Sie sich das letzte Mal wirklich lebendig gefühlt? Oftmals sind die Tätigkeiten, die Lebendigkeit in uns oder in Gruppen generieren, viel nachhaltiger als das, was wir eigentlich denken, was uns wichtig ist. Sich diesen Fragen zu stellen und sich vielleicht auch zu hinterfragen, erfordert aber ebenfalls Mut.
Es braucht aber noch einen anderen Mut. Vielleicht auch Demut. Denn wie oft sagen wir etwas, Hauptsache wir stehen nicht dumm da? Wer hat – gerade in der Politik – denn den Mut, zu sagen: Ich weiß die Lösung auch nicht? Gerade das – das Eingestehen der Überforderung – ist aber manchmal hilfreich. Es lädt dazu ein mitzudenken, selbst zu denken und es schafft Verständnis und Akzeptanz bei anderen.
Und nun zu meinem dritten Punkt: Wir brauchen Neugier.
3. Neugier
Die Neugier ist das Erfolgsrezept der Menschheit! Nur weil wir Dinge anders machen wollten, als wir sie bisher gemacht haben, haben wir Dinge entwickeln können. Das erfordert im Übrigen aber auch wieder Mut. Denn man muss dann auch etwas anders machen, als es bisher als normal galt. Wann wurden Dinge wirklich neu, revolutionär und damit häufig auch besser gemacht? Wenn etwas Verrücktes gewagt wurde. Deshalb sagen wir rückblickend oftmals „Der oder die waren ihrer Zeit voraus“.
Neugier ist uns angeboren. Sie steckt in jedem von uns und darf gelebt werden.
Zum Schluss möchte ich Ihnen noch etwas mitgeben, was mich meine Kinder gelehrt haben.
Im Beobachten meiner Kinder war ich irgendwann neugierig und habe mir Gedanken zu der Frage gemacht, wie Kinder lernen? Meine persönliche Einschätzung war:
- Sie beobachten.
- Sie machen nach.
- Oder sie haben eine verrückte Idee – und probieren einfach mal etwas aus.
Da habe ich mich gefragt und lade Sie ein, sich in einer ruhigen Minute einmal selbst die Fragen zu stellen:
- Wie oft beobachte ich eigentlich noch? Oder bin ich mehr damit beschäftigt, selbst beachtet zu werden?
- Wie oft mache ich nach – oder ärgere ich mich über Menschen, die etwas anders machen?
- Wie oft probiere ich etwas einfach mal aus – verlasse meine Komfortzone, lasse mich auf Unsicherheit ein?
Nachhaltigkeit ist eine Frage der Haltung. Und für mich ist entscheidend, mit welcher Haltung wir an Veränderungen und den Wandel herangehen.
Wir sind keine Spielbälle oder ohnmächtig. Selbstverständlich kann ich mit meinem Handeln und Gestalten, nicht die ganze Welt verändern. Das ist auch nicht meine Verantwortung. Meine Verantwortung liegt da, wo ich auch wirksam werden kann. Vor allem in mir selbst; Indem ich mich beispielsweise in anderen Werten übe: Demut, Achtsamkeit, Empathie oder auch weniger Egoismus. Jeden Tag gibt es unzählige Möglichkeiten. Aber natürlich auch in meinem direkten Umfeld, wie hier in Esslingen.
Ich hoffe meine Worte bleiben in Erinnerung. Lassen Sie sich auf Weitsicht ein. Seien Sie mutig und neugierig. Verlassen Sie Komfortzonen und begreifen Sie Nachhaltigkeit im Sinne einer Haltungsfrage als ein Lernprozess. Der Sie und die Menschen in Ihrer Stadt zufriedener, lebendiger und resilienter macht.
Verpflichtungsrede: Carmen Tittel, Stadträtin und Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen
es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrter Herr Landrat,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Huber,
liebe Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderats,
sehr geehrte Damen und Herren und
a warm welcome to our friends from Poland and Ukraine,
zunächst möchte ich mich herzlich bei Ihnen, sehr geehrter Herr Huber, für Ihre inspirierende Rede bedanken. Sie haben eindrucksvoll geschildert, vor welchen Risiken unsere Gesellschaft und unsere Städte und Gemeinden stehen aber auch welche Chancen sich auftun.
Auch wir in Esslingen stehen – wie viele Städte in Deutschland – vor einer Vielzahl an Herausforderungen, die wir gemeinsam anpacken müssen. Der Klimawandel, gesellschaftliche Spannungen, Populismus, globale Konflikte, Migration, Energie- und Mobilitätswende, bezahlbarer Wohnraum, Bildungsgerechtigkeit und das Bedürfnis nach mehr Sicherheit und Sauberkeit– all das bewegt unsere Stadtgesellschaft.
Viele Menschen haben das Gefühl, in einer Dauerkrise zu leben. Doch wir wollen diesem Gefühl etwas entgegensetzen: eine zuversichtliche und mutige Vision von unserer Stadt als Stadt der Zukunft.
Denn neben Herausforderungen haben wir auch große Chancen: Wir können Esslingen zu einer Stadt machen, die nicht nur modern und wirtschaftlich stark ist, sondern auch sozial gerecht, nachhaltig und klimafreundlich.
Nachhaltigkeit ist für mich kein abstrakter Begriff. Er bedeutet, Verantwortung zu übernehmen – für unser Klima, für kommende Generationen, für das soziale Miteinander. Hier in Esslingen und überall. Ganz im Sinne der Lokalen Agenda 21, deren Mitglied wir sind und deren Motto „global denken – lokal handeln“ heute genauso wichtig ist wie damals bei der Gründung 1992. Diese Initiative war Vorbild für die lokale Umsetzung globaler Nachhaltigkeitsziele.
Nachhaltigkeit bedeutet, dass wir Klimaschutz und Klimaanpassungsmaßnahmen ernst nehmen und konkret angehen. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Unsere Stadtwerke investieren in den nächsten Jahren viele Millionen Euro in den Ausbau klimafreundlicher Fernwärme und in erneuerbare Energien. Grüner Wasserstoff, intelligente Stromnetze und moderne Speichertechnologien werden in Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Denn nur mit klimafreundlicher Energie sichern wir unsere wirtschaftliche Stabilität und soziale Gerechtigkeit.
Auch die Mobilitätswende ist ein Schlüssel zu mehr Nachhaltigkeit. Wir wollen, dass es in Esslingen einfach ist, klimafreundlich unterwegs zu sein – zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem Bus. Deshalb führen wir das Stadtticket wieder ein. Deshalb bauen wir den ÖPNV vollständig elektrisch aus und werden eine der ersten Städte im Land sein, mit einem vollständig emissionsfreien öffentlichen Nahverkehr.
Nachhaltigkeit gilt auch für die Stadtentwicklung. Eine nachhaltige Stadt ist eine Stadt der kurzen Wege – mit Grünflächen zur Abkühlung, mit Naherholung in jedem Quartier. Mehr Grün in der Stadt schützt vor Hitze und macht unsere Stadt lebenswerter. Wir müssen hier noch besser werden: Entsiegelung von Flächen ist nötig. Bäume an jeder Straße, Begrünung von Fassaden und Dächern. Damit verbessern wir vor allem in der Innenstadt das Mikroklima, da weniger Hitze gespeichert wird und mehr Wasser verdunstet.
Schon heute freue ich mich auf den neu gestalteten Marktplatz im Herzen unserer Stadt. Mit noch mehr Bäumen und einem Fontänenbrunnen der für Kühlung sorgt und bei Kindern an heißen Tagen mit Sicherheit große Freude auslösen wird.
Nachhaltigkeit bedeutet auch, den sozialen Zusammenhalt zu sichern. Nur wenn wir Integration, Bildung und Teilhabe ernst nehmen, gelingt uns der Wandel gerecht. Gute Kitas, starke Schulen, gerechte Bildungschancen – das ist nicht nur soziale Politik, sondern echte Zukunftspolitik. Dazu gehört ein gutes Kulturangebot. Wo Kultur stark ist, ist nicht nur die Gesellschaft stark, dort ist auch die Wirtschaft stark. Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert hat es auf den Punkt gebracht: „Kunst und Kultur sind nicht die sympathische Nische der Gesellschaft, sondern das Eigentliche, das sie zusammenhält.“ Deshalb bauen wir an einer neuen Stadtbücherei und werden in unser Museum investieren. Deshalb fördern wir unsere Kultureinrichtungen und Vereine.
Dabei darf Nachhaltigkeit kein Luxus sein. Jeder Mensch – egal welchen Alters, welcher Herkunft oder mit welchem Einkommen – soll von der Entwicklung unserer Stadt profitieren. Damit das gelingen kann, dürfen wir uns nicht durch politische Extreme spalten lassen.
Meine Damen und Herren, wir erleben eine Zeit, in der Kompromisse unter Generalverdacht stehen. Ich halte das für gefährlich. Kompromissfähigkeit ist nichts anderes als gelebte Verständigung. Ein Kompromiss ist oft die beste Möglichkeit, um eine Situation zu verbessern, wenn eine perfekte Lösung nicht möglich ist.
Wer behauptet, die einfache Parole schlage den mühsamen Ausgleich, hat unsere Demokratie nicht verstanden. Wenn wir in der demokratischen Mitte einander zuhören, das Gemeinsame suchen und über Unterschiede hinweg zum Wohle der Stadt zusammenfinden, werden wir immer bessere Antworten liefern als Populisten und Nationalisten. Streiten wir hart in der Sache und mit Respekt im Ton. Fragen wir uns, wie wir leben wollen, was uns wichtig ist und was wir unseren Kindern hinterlassen möchten. Dann, davon bin ich überzeugt, gestalten wir eine Zukunft, in der Wohlstand und Lebensqualität Hand in Hand gehen – hier bei uns und weit darüber hinaus.
Ich betone das, weil die Bereitschaft, Brücken zu schlagen, wichtiger ist denn je. Eine Gesellschaft, die in Lager zerfällt und nicht mehr das Verbindende sucht, verspielt sowohl ihre Zukunft als auch ihr Gefühl von Heimat.
Esslingen hat eine starke demokratische Kultur und ein lebendiges bürgerschaftliches Engagement. Unsere Bürgerinnen und Bürger kümmern sich – mit Herz und Haltung – um ihre Heimatstadt. Wir gestalten unsere Stadt gemeinsam: mit dem Gemeinderat, mit den Bürgerausschüssen, dem Jugendgemeinderat, dem Inklusionsbeirat, dem Integrationsbeirat, mit aktiven Seniorinnen und Senioren. Hier engagieren sich Menschen im Sport- und Kulturverein, in Kirchen, in der Nachbarschaft, in der Feuerwehr – hier schlägt das demokratische Herz.
Hier zeigt sich der alte reichsstädtische Bürgerstolz in unserer Stadt auf vorbildliche Weise.
Darum lassen Sie uns gemeinsam den Bürgergeist unserer alten Freien Reichsstadt stärken. Lassen Sie uns gemeinsam weiterbauen an Esslingen als Stadt der Zukunft die modern und weltoffen ist, solidarisch und sozial, wirtschaftsstark und innovativ. Eine Stadt, die grün ist und Chancen für alle bietet – unabhängig von Herkunft oder Einkommen. Eine lebenswerte Stadt, in der gesellschaftlicher Zusammenhalt gelebter Alltag ist.
In diesem Sinne bitte ich Sie nun Herrn Oberbürgermeister, meine Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderates und alle anwesenden Gäste hier im Schwörhof, sich von Ihren Plätzen zu erheben zur Verlesung der Verpflichtungsformel.
„Wir geloben Treue der Verfassung, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung unserer Pflichten. Insbesondere geloben wir, die Rechte der Stadt gewissenhaft zu wahren und ihr Wohl und das ihrer Einwohnerinnen und Einwohner nach Kräften zu fördern“.
Ich danke Ihnen, dass Sie sich von Ihren Plätzen erhoben haben.
Nun bleibt mir noch, Ihnen ein schönes Schwörfestwochenende zu wünschen und mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit zu bedanken.
Geschichte des Schwörtags
Der Esslinger Schwörtag war bis zum Verlust der Reichsunmittelbarkeit das zentrale verfassungspolitische Ereignis der Stadt Esslingen am Neckar. In den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts hat die Stadt diese Tradition wieder aufgenommen.
Schwörtag damals
Die heutigen Schwörtagsfeiern in ehemaligen Reichsstädten wie Esslingen gehen auf mittelalterliche Vorläufer zurück, bei denen sich die Stadtgemeinde als Schwurgemeinschaft konstituierte.
Reichsstädte besaßen eine besondere politische Kultur, regierten sich weitgehend selbst und genossen so eine relative Unabhängigkeit. Ausdruck dieser kommunalen, partizipativen, wenn auch nicht im heutigen Sinne demokratischen Selbstregierung war der gemeinsame öffentliche Eid des Bürgermeisters, des Rates und der ganzen Bürgerschaft auf die Stadtverfassung.
Die Schwörtagsfeiern, in Esslingen bereits 1376 weitgehend ausgeprägt, fanden jährlich zu Wahlen und Amtsübergaben statt. Der Schwörakt bezweckte letztlich den Zusammenhalt in der Stadt, friedliche Konfliktaustragung und die Beachtung der städtischen Regeln durch alle Beteiligten. Der Schwörtag war auch ein zentrales städtisches Fest und ein wichtiger Faktor im Bewusstsein der Bürgerschaft.
Der Verlust der reichsstädtischen Freiheit durch die Mediatisierung von Reichsstädten im Gefolge der Napoleonischen Kriege führte 1802 zu einer Abschaffung der Schwörtage durch die neuen Landesherren.
Zeitzeuge Johann Jakob Keller
Für Esslingen konstatierte Johann Jakob Keller 1789 schon „mehrere Wochen vorher ein Leben und Weben, ein Kaufen und Verkaufen, das einzig seinen Bezug auf diese Feier hat“.
Den Ablauf des Schwörtags hat er in sechs Briefen an einen Freund genau beschrieben. Die Briefe wurden 1789 zusammen mit einem Kupferstich, auf dem die Schwörtagszeremonie festgehalten ist, veröffentlicht.
Der Kupferstich zeigt links die im Schwörhof versammelte Bürgerschaft unter den Zunftfahnen. Rechts ist die Ledigenkompanie postiert, dahinter hat der Rat in einem Laubengang Platz genommen.
Im Erker des Schwörbalkons nimmt der Kanzleidirektor dem neuen Bürgermeister den Eid auf die Statuten der Stadt ab, den danach der Magistrat und die gesamte Bürgerschaft auf die Verfassung leisten.
Der Schwörtag wurde jeden Sonntag nach Jakobi abgehalten.

Schwörtag heute
Die 1991 auf dem historischen Schwörhof wieder ins Leben gerufene Schwörzeremonie nimmt Bezug auf die spezifischen reichsstädtischen Traditionen, passt aber inhaltlich noch immer in die heutige Zeit.
Sie wird heute nicht mehr als rechtsverbindlicher Schwurakt interpretiert, sondern als identifikationsstiftendes, partizipatives, aber keinesfalls exklusives Zeugnis einer vielfältigen Stadtgesellschaft.
Die Schwörzeremonie wird jährlich am ersten Freitag im Juli abgehalten. Sie bildet den Auftakt zum Esslinger Schwörfest mit einem breit gefächerten kulinarischen Angebot und musikalischer Unterhaltung auf dem Marktplatz.
Stadt Esslingen am Neckar