Wie wir die Wohnungsnot lindern möchten

Bürgermeister Yalcin Bayraktar und Dr. Gunnar Seelow, Leiter der Stabsstelle Wohnen, erklären im Interview, welche Maßnahmen den Mangel an Wohnraum lindern sollen und vor welchen Herausforderungen die Stadtverwaltung dabei steht.

Bürgermeister Yalcin Bayraktar und Dr. Gunnar Seelow, Leiter der Stabsstelle Wohnen, ziehen Bilanz

„Esslingen gehört zu 31 Gemeinden in Baden-Württemberg, bei denen alle Untersuchungen auf einen angespannten Wohnungsmarkt hinweisen“ – so steht es in einer Berichtsvorlage für den Sozialausschuss des Esslinger Gemeinderats. Dieses Ergebnis ist mit ein Grund, weshalb Anfang 2022 bei der Stadtverwaltung die Stabsstelle Wohnen ins Leben gerufen wurde.

Seither arbeiten die fünf Mitarbeitenden daran, in Esslingen für mehr bezahlbaren und bedarfsorientierten Wohnraum zu sorgen. Im Interview berichten Yalcin Bayraktar, Bürgermeister für Ordnung, Soziales, Bildung, Kultur und Sport sowie Dr. Gunnar Seelow, Leiter der Stabsstelle Wohnen, vor welchen Herausforderungen die Stadtverwaltung dabei steht und welche Maßnahmen den Mangel an Wohnraum lindern sollen.

Wie steht es aktuell um den Esslinger Wohnungsmarkt?

Seelow: Wir befinden uns gerade in einer schwierigen Situation. Den Wohnungsbau belasten viele Faktoren, die wir als Stadt nicht beeinflussen können – zum Beispiel die gestiegenen Materialpreise, die Zinsentwicklung oder der Fachkräftemangel. Hinzu kommen weitere große Herausforderungen: Der veränderte Bedarf durch den demografischen Wandel, die Anpassung an den Klimawandel und nicht zuletzt viele Menschen aus der Ukraine, die ebenfalls auf der Suche nach Wohnungen sind.

Gibt es in Esslingen noch genügend Flächen für zusätzlichen Wohnraum?

Seelow: Für die nächsten zehn Jahre sehen wir noch ausreichend Potential, beispielsweise durch den Wohnungsbau auf der Flandernhöhe, im Schlachthof-Areal oder auf dem VfL-Post-Gelände. So wollen wir in Esslingen in diesem Jahrzehnt 3.000 zusätzliche Wohnungen schaffen – sofern uns die derzeitige Zurückhaltung im Wohnungsbau keinen Strich durch die Rechnung macht.

Bayraktar: Gleichzeitig stoßen wir gerade in Esslingen schnell an unsere topografischen Grenzen. Und angesichts des Klimawandels wollen wir so wenig Flächen wie möglich versiegeln. Umso wichtiger ist es, dass wir auch bereits bestehende Bebauung erweitern – also Geschosse aufstocken oder nachträglich enger bauen.

Wie müssen die Wohnungen der Zukunft aussehen?

Seelow: Unserer Ansicht nach sind veränderte Haushaltsstrukturen ein Hauptgrund für die aktuelle Schieflage auf dem Wohnungsmarkt. Früher lebten oft bis zu drei Generationen gemeinsam unter einem Dach. Heute zeigen die Statistiken, dass auch in Esslingen immer mehr Haushalte nur aus ein oder zwei Personen bestehen. Damit passen die veränderten Bedürfnisse an Wohnraum nicht zum Bestand, der häufig aus den 1960er Jahren stammt. Außerdem nimmt der Anteil älterer Menschen in Esslingen künftig zu. In den kommenden Jahrzehnten haben wir also ganz andere Anforderungen in Sachen Wohnungsgröße, Barrierefreiheit oder Pflege.

Kann die Stadt den Wohnungsmarkt überhaupt ausreichend beeinflussen?

Bayraktar: Als Verwaltung haben wir natürlich keine Möglichkeit, auf Baupreise oder Zinsen einzuwirken. Angesichts der Wohnungsnot in Esslingen müssen wir daher jede Maßnahme ergreifen, die uns als Kommune zur Verfügung gestellt wird – egal wie groß der Aufwand vielleicht sein mag. Deswegen versuchen wir, nach und nach alle unsere Maßnahmen aus dem Strategiepapier Wohnen umzusetzen. Dazu zählen zum Beispiel das Wohnraummanagement für Menschen aus unserer Notfallkartei oder die bald startende Wohnungstauschbörse. Außerdem versuchen wir natürlich, die Flächen, die wir für den Wohnungsbau zur Verfügung haben, möglichst effizient und bedarfsorientiert zu nutzen.

Wieso braucht es dazu eine eigene Stabsstelle?

Seelow: Weil sich unsere Aufgabe nicht auf ein Amt oder eine Abteilung beschränken lässt. Wenn wir von bezahlbarem Wohnraum sprechen, sind wir schnell bei Fragen der Stadtplanung oder der Sozialpolitik. Als Stabsstelle können wir die Arbeit verschiedener Ämter zusammenführen und das Thema Wohnraum gesamtheitlich betrachten.

Bayraktar: Wichtig war uns auch, keine Doktorarbeiten zu erstellen, sondern mit unserem Strategiepapier Wohnen so konkret wie möglich Maßnahmen für mehr bezahlbaren Wohnraum zu definieren. Und in den nicht mal zwei Jahren seit Einrichtung der Stabsstelle haben wir richtig Gas gegeben. Trotzdem gibt es noch Dinge, die wir verbessern können – zum Beispiel die interne Vernetzung zwischen den verantwortlichen Stellen und die Optimierung und Beschleunigung von baurechtlichen Prozessen. Gemeinsam können wir an mehr und schneller gebautem Wohnraum arbeiten.

Was ist bisher der größte Erfolg der Stabsstelle Wohnen?

Beide: Das Quotenmodell!

Seelow: Das war sicher unser größter Meilenstein bisher. In der Zusammenarbeit mit Genossenschaften und Investoren stellt es sicher, dass die Hälfte der neuen Wohnungen als geförderter und somit günstigerer Wohnraum ausgewiesen wird.

Bayraktar: Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es keine einzelne Maßnahme gibt, die die Wohnungsnot in Esslingen lindern kann. Am Ende verbessern wir die Situation für unsere Bürger:innen mit einer Kombination aus allen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen.

Was ist für die Zukunft geplant?

Seelow: Das nächste große Projekt wird die Prüfung eines Einstiegs der Verwaltung ins städtische Wohnen. Damit könnten wir zum Beispiel die Menschen aus unserer Notfallkartei mit Wohnraum versorgen. Aktuell werden diese Personen von privaten Investoren nicht bedient, weil es für sie nicht lukrativ ist. Das zu organisieren, ist aber nochmal eine ganz andere Hausnummer als beispielsweise das Quotenmodell.

Bayraktar: Selbst als Vermieterin aktiv zu werden, würde auch uns als Verwaltung attraktiver machen. Bezahlbare Wohnungen vor Ort bereitzustellen, wäre gerade bei der Suche nach Fachkräften oder Auszubildenden ein echter Vorteil. Und schlussendlich hätten wir damit auch die kurz- und mittelfristigen Maßnahmen unseres Strategiepapiers Wohnen vollständig umgesetzt.

Seelow: Aus unserer Sicht ist der Einstieg der Stadt in den Wohnungsmarkt die logische Fortsetzung des Quotenmodells. Denn inzwischen ist überall angekommen, dass der bloße Verkauf von Grundstücken die Wohnungsnot nicht beenden wird. Von daher sind wir mit all unseren Maßnahmen auf dem richtigen Weg.

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(Erstellt am 05. Juni 2023)