Erzählungen rund um Esslingen

Die mittelalterlichen Strukturen der Innenstadt gaben wohl schon lange Zeit Anlass zu allerlei Spekulationen, Geschichten und Sagen. Bis heute hören und erzählen sie die Esslinger gern.

Postmichel Statue
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Warum die Esslinger auch Zwieblinger heißen, ist vielen Esslingern bereits bekannt. Auch die Sage vom Postmichel wissen viele zu erzählen. Aber kennen Sie auch schon die vielen anderen spannenden Sagen und Geschichten rund um die Stadt?

Warum die Esslinger "Zwieblinger" heißen

Eines Tages kam der Teufel zu Besuch nach Esslingen am Neckar und freute sich darüber, dass die Bürger ihn ahnungslos grüßten. Als er auf den Marktplatz kam, wo gerade ein Wochenmarkt abgehalten wurde, staunte er über die feilgebotenen Waren. Der Teufel bat eine kluge Marktfrau einen der roten Äpfel kosten zu dürfen. Diese erkannte den Teufel jedoch an dem Pferdefuß, der aus der eleganten Hose hervorschaute und am Schwefelgeruch. Die listige Marktfrau reichte ihm eine Zwiebel statt des erwarteten Apfels und der Teufel biss gierig hinein. Er schüttelte sich vor Abscheu und rief: „Das sollen eure Äpfel sein! Spott über euch Esslinger! Zwiebel sind es, scharfe Zwiebel. Und deshalb sollt ihr künftig nicht mehr Esslinger heißen, ihr stolzen Reichsstädter, sondern Zwiebel.“ Voll Zorn verließ er eilends die Stadt und hat sich fortan nicht mehr sehen lassen.
 
Darum werden die Esslinger heute auch Zwiebel oder Zwieblinger genannt.
 
(Freie Nacherzählung in Anlehnung an:
Dorothee Bayer, Esslinger Heimatbuch, S. 129/130. Esslingen, 1982.)

Die Sage vom Postmichel

„Im Jahr 1491 wurde auf der Esslinger Steige in Stuttgart der wohlhabende Esslinger Bürger Amandus Marchthaler erschlagen. Sein Tod blieb ungesühnt, denn vom Mörder fehlte jede Spur. […] Mehr als zwei Jahre später [fand] der Postreiter Michel Banhard auf seinem täglichen Ritt  von Esslingen nach Stuttgart und wieder zurück einen wertvollen Ring. Er wusste nicht, dass [an eben dieser Stelle Jahre zuvor ein Mord begangen wurde. Um den Ring sicher nach Esslingen zu bringen, wo er ihn als Fundstück abgeben wollte, steckte der Postreiter ihn sich an den Finger. Bei seiner Rast in einem Wirtshaus fiel der Ring den Trinkkumpanen auf, die sich erinnerten, dass es sich um den Ring des ermordeten handelte.] Das bestätigte kurz darauf auch der Neffe des Ermordeten, Matthäus von Welz, der mittlerweile das Erbe seines reichen Onkels angetreten hatte.“
[Dem Postmichel wurde der Mord an Amandus Marchthaler vorgeworfen. Trotz seiner Unschuldsbeteuerungen wurde er so lange im Wolfstor eingesperrt und gefoltert, bis er schließlich den Mord gestand und zum Tode durch das Schwert verurteilt wurde.] Sein letzter Wunsch wurde ihm erfüllt: er durfte auf seinem Roß zum Richtplatz reiten und dabei noch einmal sein Posthorn blasen. […] Auf dem Richtplatz aber beteuerte der Postmichel noch einmal seine Unschuld und kündigte an, er werde künftig alljährlich in der Michaelisnacht vor dem Haus des Scharfrichters in Stuttgart und auch in Esslingen sein Posthorn blasen, so lange, bis der wahre Mörder Marchthalers gefunden und gerichtet sei.
 
[…] Pünktlich an Michaelis (29. September) des darauf folgenden Jahres erwachte der Henker in Stuttgart durch den schaurigen Ton eines Posthorns. [Er sah einen gespenstischen Reiter auf einem Schimmel Richtung Esslingen traben.] Auch dort hörte man den Postmichel blasen, auch dort sah man eine schemenhafte Gestalt hoch zu Ross, den Kopf unter dem Arm, das Horn in der Hand. [Matthäus von Welz flüchtete erschrocken aus der Stadt, um dem Spuk zu entgehen. In den folgenden Jahren wiederholte sich dieses Ritual an Michaelis und jährlich wuchs die Sorge einen Unschuldigen gerichtet zu haben.]
 
Mehr als ein halbes Jahrhundert später kam ein alter Mann nach Esslingen, [auf der Suche nach einem Platz im Spital. Als er in der Michaelisnacht dem Geisterreiter begegnete, gab er sich als Matthäus von Welz, Marchthalers Neffe, zu erkennen und gestand den Mord an seinem Onkel aus Habsucht begangen zu haben. Er habe die Tat zeitlebens gebüßt, da ihn der Klang des Horns überall hin verfolgte. Da das Geständnis ihn alle Kraft gekostet hatte tat er] einen letzten Seufzer und starb. Der unschuldig gefolterte und hingerichtete Postmichel aber hatte fortan seine Ruhe."
 
(Aus: Dorothee Bayer, Esslinger Heimatbuch, S.130-132. Esslingen, 1982.
Einige Passagen [sind frei nacherzählt])

Mélac und das Mädchen von Esslingen

Zur Zeit der Franzosenkriege (1688 – 1697) zog der General Mélac durch Schwaben, verwüstete und brannte alles nieder. Sicherheit vor ihm erhofften sich viele hinter den Starken Mauern der Freien Reichsstadt Esslingen an Neckar zu finden. So brachte auch der Hochdorfer Pfarrer Jeremias Haug seine schöne Tochter zu einem entfernten Verwandte nach Esslingen, dem Wirt zum Goldenen Adler. Doch die Esslinger öffneten Mélac die Tore aus Angst, dieser würde die Stadt sonst niederbrennen. Mélac bezog ein Zimmer im Goldenen Adler und entdeckte die junge Katharina, die schöne Pfarrerstocher aus Hochdorf und verfolgte sie fortan auf Schritt und Tritt. Katharina wies ihn immer wieder zurück, folgte jedoch eines Abends seiner Einladung in das kleine Häuschen auf der äußeren Burgmauer, das heute den Namen Mélac-Häusle trägt, um den General nicht vollends wütend zu stimmen.

Mélac drohte ihr die Stadt niederzubrennen, wenn sie ihm nicht bald zu Willen sei.
Daraufhin ergab sich Katharina ihrem Schicksal und sie vereinbarten für den darauf folgenden Tag ein Treffen im runden Türmchen auf dem Ailenberg. Als Mélac sich ihr nähern wollte stach Katharina mit einem mitgebrachten Dolch auf den General ein. Verletzt aber nicht getötet nahm Mélac ihr den Dolch aus der Hand und stieß ihn ihr mitten ins Herz.
Wie von einem schlechten Gewissen gehetzt stürmte Mélac mitsamt seinen Truppen aus der Stadt. Katharina, das tapfere Mädchen von Esslingen wurde nach ihrem Tod als opfermütige Retterin der Stadt gefeiert.
 
Die Geschichte hat einen wahren Kern:
Anna Catharina kam tatsächlich 1683, fünf Jahre vor Mélacs Besuch, nach Esslingen und bediente diesen auch im „Goldenen Adler“. Catharina gab den Nachstellungen Mélacs nach, ob dies aus Sorge um die Stadt geschah oder um den General notgedrungen bei Laune zu halten ist ungeklärt. Aus der Verbindung ging sogar ein Sohn hervor, der weniger als ein Jahr alt wurde. Obwohl Catharina ihre Ehre verloren hatte, wurde sie von der Gesellschaft wieder aufgenommen. 1691 ehelichte sie der Adlerwirt Rutenberger, beide bekamen einen Sohn. Nach dem Tod ihres Mannes 1700 heiratete Catharina noch einmal. Im Alter von 75 Jahren ist „das Mädchen von Esslingen“ im April 1743 gestorben.
 
(Freie Nacherzählung in Anlehnung an:
Dorothee Bayer, Esslinger Heimatbuch, S. 132/134. Esslingen, 1982.)

Die Sage von der Katharinenlinde

Schutzheilige des Esslinger Spitals, einer Pflegestätte für Arme und Kranke, entstanden in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, war die Heilige Katharina von Alexandrien. Sie wurde im Jahr 307 gerändert und enthauptet.
 
Der Sage nach soll Katharina ihren Verfolgern entkommen und von Alexandria in Ägypten bis nach Esslingen gelangt sein. Dort wurde sie gefasst und wieder zurück nach Alexandrien verschleppt, wo sie den Märtyrertod starb. Zuvor soll sie dem Esslinger Spital ihr Vermögen vermacht haben. Dasselbe Wappen wie das Esslinger Katharinen-Spital führt übrigens auch das Katharinen-Kloster auf dem Sinai.
 
Eine andere Sage berichtet, Katharina sollte nach ihrer Ergreifung direkt hingerichtet werden, nahe dem Platz, an dem heute die Katharinenlinde steht. Sie bat den Richter um ein Gottesurteil: eine Linde, so sprach sie solle man verkehrt, also mit dem Geäst nach unten und dem Stamm nach oben, in den Boden pflanzen. Verdorre der Baum, so sei ihre Schuld erwiesen. Schlage er aber aus und begännen seine Wurzeln zu grünen, so sei sie unschuldig. Der Baum schlug aus und wurde fortan Katharinenlinde genannt. Nach ihrem späteren Tod wurde die Heilige Katharina unter diesem Baum beigesetzt.

([frei gekürzt und sprachlich leicht angepasst] aus: Dorothee Bayer, Esslinger Heimatbuch, S.135-136. Esslingen, 1982.)

Vom Krokodil und vom Teufel in der Spitalkelter

"[Das reiche Katharinen-Spital hatte einst eine stattliche Kelter, denn es gehörten zahlreiche Weinberge zum Besitztum des Spitals. Viele Bewohner der Stadt boten ihre Hilfe bei der Weinlese an und wirtschafteten wohl auch in die eigene Tasche.] Es soll in den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts gewesen sein. In der Spitalkelter herrschte wieder einmal Hochbetrieb, [… es wurde betrogen und gestohlen]. Da tat es plötzlich einen gewaltigen Schlag und aus dem dunklen Hintergrund der nur notdürftig erhellten Kelter kam ein kohlrabenschwarzes Männlein geflogen. Kichernd setzte es sich auf den hintersten Kelterbaum, drohte den Leuten und begann zu zetern und zu schimpfen. Er sei der Keltergeist des Spitals und es sei offenbar höchste Zeit, dass er wieder einmal nach dem Rechten sehe. Und während die Lichter in der Kelter erloschen, hörte man die Schreie derer, auf deren Rücken aus der Dunkelheit eine kräftige Tracht Prügel niedersauste. 

Außer sich über die unerhörten Vorfälle in der Spitalkelter, beriet sich der Vogt mit seinen Helfern, darunter auch dem Keller- und Keltermeister. Er fürchtete das ganze Spital könne in Verruf kommen, hatte doch erst kurz zuvor ein fürchterliches Krokodil in den Kellern des Spitals unter dem Marktplatz einen Küfer gefressen. […] Den Kellermeister aber, ausgerechnet ihn ließen Krokodil und Teufele gelassen. Er kenne die beiden schon lange, bekannte er nun. Den Keltergeist dürfe er schon längst als seinen Freund betrachten, und das Krokodil habe sich im Laufe der Zeit offenbar auch an ihn gewöhnt. […] Nicht böse Geister, wie der Vogt befürchtet hatte, trieben in der Kelter ihr Unwesen. Ganz im Gegenteil: Der Keltergeist habe sich doch jetzt erst wieder als sein treuester Gehilfe bewährt. Er und das Krokodil erschienen nämlich nur dann für jedermann sichtbar in der Kelter, wenn es gelte, die gestörte Ordnung wiederherzustellen. Der Keltermeister schlug vor, die winkelige alte Kelter abzureißen und an ihrer Stelle eine neue zu bauen, in der man besser Ordnung halten könne. Und so geschah es. Zum Dank aber für seine guten Dienste setzte man dem schwarzen Teufele, dem Keltergeist, ein bleibendes Denkmal. Am Kielmeyerhaus ist es bis heute zu sehen."
 
(Aus: Dorothee Bayer, Esslinger Heimatbuch, S.137-138. Esslingen, 1982.
Einige Passagen [sind frei nacherzählt])