Hausmodell der Schimpf´schen Villa

Albert Benz
Holz, Metall, Glas
1905
(Städtische Museen Esslingen, STME 008014)

Modell eines Hauses mit Fachwerk und Steinfundamenten. Im Vordergrund steht eine Laterne.
Fotografie: Michael Saile

Das Architekturmodell aus Holz zeigt die prachtvolle Villa, die der Architekt Albert Benz (1877-1944) zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Mettinger Straße 17 für seinen Freund, den Esslinger Handschuhfabrikanten Ernst Schimpf (1862-1942), plante.
Ernst Schimpf hatte bereits 1895 Rosa Helene Fink (1870-1949) geheiratet. Sie war die Tochter des Musikers Christian Fink und Enkelin des Verlegers Jakob Ferdinand Schreiber. Das frisch vermählte Paar lebte zunächst in der Schelztorstraße und dann am Hafenmarkt 7 (dem heutigen Stadtmuseum). Der Wunsch nach einem eigenen Heim war jedoch groß. Das passende Grundstück fanden sie im Familienbesitz des Handschuhfabrikanten in der Mettinger Straße 17. Dieses war allerdings schon mit einem Fachwerkhaus aus dem Jahr 1578 bebaut. Um Platz für den Neubau von Ernst und Rosa zu schaffen, ließ der Stuttgarter Ingenieur Erasmus Rückgauer in einer aufsehenerregenden Aktion im Jahr 1905 das 300 Jahre alte Gebäude von seinem Fundament trennen, auf eine Schiene setzen und innerhalb einer Woche um 17 Meter auf das Nachbargrundstück, die Mettinger Straße 19, schieben. Durch diese so genannte Translozierung konnte das historische Gebäude erhalten werden und existiert noch immer – heute steht es unter Denkmalschutz.
Das Ehepaar Schimpf wünschte sich ein „altdeutsches“ Haus, das wie eine Burg anmuten sollte. Auf Reisen im In- und Ausland hatte es sich Anregungen von Schlössern, Burgen und Klöstern geholt und plante gemeinsam mit Albert Benz die Schimpf´sche Villa. 1907 war das Haus mit seinen 24 Zimmern schließlich bezugsfertig. Die sehr kreative Rosa hatte schon als Kind Porzellan- und Glasmalerei erlernt und stickte meisterlich. Die Porzellankacheln des Ofens und des Wandbrunnens bemalte und brannte sie selber; für die einzelnen Zimmer bestickte sie riesige Wandbehänge. Zudem bemalte sie ein Glasfenster über zwei Etagen mit den Wappen aller Esslinger Bürgermeister.
Das mehrstöckige Haus hatte im Untergeschoss eine Kapelle mit drei Spitzbogenfenstern, die mit bunten Glasscheiben versehen waren. Blickte man durch sie, sah man hinaus in den wunderschönen Garten auf eine alte Madonnenfigur. In dieser Kapelle befand sich Rosas Andachtsraum, in den sie sich immer wieder zurückzog. Im Erdgeschoss gab es ein riesiges Spielzimmer für die beiden Kinder, voll mit Kinderbüchern vom J. F. Schreiber-Verlag, Kaufladen, Puppenstube (vgl. „Objekt des Monats“ vom Dezember 2022) und vielen anderen Dingen. In weiteren Räumen nahm Rosa junge Mädchen von der Schwäbischen Alb auf und bildete sie in Hauswirtschaft aus. Zum Haushalt des Ehepaars Schimpf gehörten außerdem eine Kinderfrau, eine Waschfrau, drei Bügelfrauen und ein Weingärtnerehepaar, das sich um den Garten und den hauseigenen Weinberg kümmerte. Stimmungsvolle Feste wurden gefeiert; das Haus war stets voller Leben.
Bei der Gemeinderatswahl 1919 kandidierte Rosa für die Frauengruppe der Deutschen Demokratischen Partei. Sie wurde jedoch nicht gewählt. Ab 1920 engagierte sie sich im Esslinger Hausfrauenverband und übernahm zwischen 1924 und 1930 den Vorsitz. Ernst starb 1942 im Alter von 80 Jahren. Da die Handschuhfabrik inzwischen kaum noch etwas abwarf, gab es im Haus keine Dienstboten mehr; Rosa, ihre Tochter und ihre Enkelin mussten alle Arbeiten in Haus und Garten selbst verrichten. 1949 starb auch Rosa. Drei Jahre später musste das Haus im Zuge der Nachlassteilung an die Firma G. Boley verkauft werden. 1956 wurde es abgebrochen. Nur noch das Hausmodell und einige historische Fotografien erinnern an die prächtige Villa, die mit viel Liebe und Phantasie für Jahrhunderte gebaut worden war, aber lediglich 50 Jahre überdauern sollte.

(Erstellt am 01. April 2023)