August 2022 - Fotomappe der Familie Deffner

Fotomappe der Familie Deffner
Um 1890
Leder, Seide, Gold, Silber, Papier

(Städtische Museen Esslingen, STME 007857)

In Leder gebundenes Buch mit vier metallenen Eckbeschlägen und einem Emblem in der Mitter
Fotografie: Michael Saile

„Die Metallbeschläge wiesen eine ungleichmäßige goldgelbe bis dunkle Färbung auf, weshalb auf Buntmetall (Messing o.ä) geschlossen wurde. Bei der tatsächlichen Betrachtung zeigte sich, dass alle vier Beschläge womöglich aus Silber gearbeitet sind und fein vergoldete Binnenflächen aufweisen.“ (Joachim Lang, Restaurator)
Dass es sich bei der Mappe nicht nur um ein Zeugnis der Esslinger Industriegeschichte, sondern auch um eine kunsthandwerkliche Kostbarkeit handelt, war nach der Übergabe durch die Vorbesitzerin an die Städtischen Museen rasch klar. Dass eine Behandlung durch einen Restaurator nötig war, um das Kleinod bestmöglich zu erhalten, ebenfalls. Bevor die oben genannten Metallbeschläge der ledergebundenen Fotomappe im Februar 2022 von Joachim Lang unter die Lupe genommen wurden, sprang vor allem das kunstvoll gestaltete Lederemblem auf dem Buchdeckel ins Auge: In einem mit Bändern und Schleifen verzierten Lorbeerkranz prangt ein Wappenschild mit Schlingen und Ranken. Erst auf den zweiten Blick offenbart sich, dass es sich bei den Ornamenten im Inneren um ein prächtig geschwungenes D handelt. Dieses steht für „Deffner“ – Familienname und Name der berühmten Esslinger Metallwarenfabrik C. Deffner.
Die Eckbeschläge dienten dem Schutz der Deckelecken und des Deckelüberzugs, waren aber auch Schmuck. Vier große Buckel sorgen für Abstand zur Tischplatte, wenn das Buch aufgeschlagen ist, damit das Lederemblem nicht auf der Tischfläche zu liegen und zu Schaden kommt. Der Hersteller der Beschläge ist unbekannt; eine Schlagmarke ist nicht vorhanden. Die fortschreitende Industrialisierung hatte im Buchbinderbereich dafür gesorgt, dass es eine Konzentration von wenigen Zuliefererbetrieben gab, die Buchbeschläge und -verschlüsse als Halbfabrikate auslieferten – zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es im deutschsprachigen Raum lediglich fünf Großhändler. Dass überhaupt derartige Eckbeschläge zum Einsatz kamen, liegt ebenfalls in der industriellen Entwicklung begründet: Der durch die Industrialisierung hervorgerufene gesellschaftliche Wandel sorgte im Bereich der Kunst auch für Gegenbewegungen und Strömungen wie den Historismus, bei welchem man sich auf vergangene Formen zurückbesann und diese wiederaufgriff. So ist es zu erklären, dass ein barock anmutender Beschlag ein Fotoalbum des späten 19. Jahrhunderts ziert.
Die anspruchsvolle und kostbare Gestaltung der Mappe setzt sich im Inneren fort: So ist die Innenseite mit dunkelblauer Seide ausgeschlagen. Links unten hat sich der Kunsthandwerker verewigt, aus dessen Werkstatt die Mappe stammt: A. Feucht. Der Stuttgarter Albert Feucht betrieb als Hoflieferant eine kunstgewerbliche Werkstatt für Lederarbeiten, die in Württemberg zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter anderem für die gehobene Stuttgarter Möbelindustrie und weitere Kunstgewerbe tätig war. Die beiden lose eingelegten Seiten mit 21 Fotografien zeigen jeweils in der Mitte Wilhelm Deffner (1829–1897), Enkel von Carl Christian Ulrich Deffner, auf den die Metallwarenfabrik
C. Deffner zurückgeht. Wilhelm übernahm die Firma in dritter Generation 1877. Er ließ den Betrieb 1887 erstmals ins Handelsregister eintragen. Im Gegensatz zu seinem Vater und Großvater hielt er die Geschäftsführung nicht bis zu seinem Tode inne, sondern übergab sie noch zu Lebzeiten an seine Söhne Carl und Otto Deffner. Die Fotografien in der Mappe wurden vom Esslinger Fotografen Karl Liebhardt angefertigt. Der gebürtige Stuttgarter und spätere königlich-württembergische Hoffotograf betrieb ab 1880 ein Fotoatelier in Esslingen. Besonders bekannt ist er heute für seine Ansichtskarten.

(Erstellt am 01. August 2022)