Neckarlandschaft mit Pliensaubrücke, Pliensautor und Neckarwehr

Karl Harm (1891-1970)
Öl auf Leinwand
1931
(Städtische Museen Esslingen, STME 008158)

Gemälde der Pliensaubrücke mit Neckarwehr von Osten in blassen Farbtönen.
Fotografie: Michael Saile

In der Fülle der Esslinger Stadtansichten finden sich viele Darstellungen der Pliensaubrücke mit dem Pliensautor. Die mittelalterliche Brücke war für das Stadtbild seit jeher prägend und für die Stadtgeschichte von zentraler Bedeutung. Im 13. Jahrhundert erbaut, gilt sie als zweitälteste Steinbrücke Deutschlands. Sie war Jahrhunderte lang die wichtigste Lebensader der Stadt und stellte bis in die späten 1960er Jahre den Haupteingang zu Esslingens Innenstadt dar. 1931, dem Entstehungsjahr des Gemäldes, fuhr bereits die Straßenbahn der Linie Esslingen-Nellingen-Denkendorf über das altehrwürdige Bauwerk. Masten für die Oberleitungen und Straßenlaternen flankierten die Fahrbahnen.
Nichts von alledem teilt sich jedoch auf diesem Bild mit. Vom Standpunkt des Betrachters auf dem Pliensauwasen, der etwa dort zu verorten ist, wo heute die Vogelsangbrücke das linksseitige Neckarufer gewinnt, müsste hinter der Pliensaubrücke das Industrieareal der Weststadt mit dem hohen Schlot der Firma Dick deutlich zu erkennen sein. Auf alle erwartbaren Details, die das Motiv seiner Gegenwart zuordnen ließen, hat der Künstler verzichtet. Bereits mit der Wahl des Standorts und des Bildausschnitts lenkt er den Blick flussabwärts gezielt an möglichen Anhaltspunkten der Stadtsilhouette vorbei und fokussiert ihn ganz auf die Brücke und das Pliensautor sowie auf den Neckar und die sich hinter der Brücke auftuende Landschaft. Die Schwelle des Neckarwehrs erzeugt räumliche Tiefe und gliedert den Vordergrund des Bildes. Das Bauwerk selbst bildet den Bildmittelgrund, wobei die architektonische Mitte der Brücke auch das Zentrum des Bildes markiert. Der Turm des Pliensautors kommt mit seinem Dachfirst mit der Horizontlinie des Schenkenbergs im Hintergrund in Deckung, wodurch sich der Turm der Landschaft unterordnet. Allein der kleine Dachreiter überragt das Weichbild des Höhenrückens westlich der Stadt. Weitere Hinweise gibt der Künstler nicht auf Esslingen als Stadt. Mehr idealisierendes Landschaftsbild als Stadtansicht, besticht das Gemälde durch die luft- und farbperspektivische Akzentuierung, die mit einfachen malerischen Mitteln überzeugend eine sommerliche, in der Ferne noch leicht dunstige Morgenstimmung evoziert.
Geschaffen hat das Bild der damals knapp vierzigjährige Esslinger Malermeister Karl Harm. Harm wurde 1891 in Esslingen geboren. Nach seiner Schulzeit hatte er zunächst eine Malerlehre absolviert, seinen Wehrdienst geleistet und schließlich die Kunstgewerbeschule in Stuttgart besucht. Seinen Plan, in Hamburg auf einem Passagierschiff nach Chile anzuheuern und sich als Schiffsmaler zu verdingen, wurde 1914 durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs zunichte gemacht. Harm wurde zum Militär eingezogen, verwundet und abermals in den Krieg geschickt. Zwar zierten Aquarelle aus dieser Zeit Feldpostkarten, der angestrebten Karriere als Kunstmaler folgten nach Kriegsende jedoch notgedrungen realistischere Pläne. Harm machte seinen Meister als Dekorationsmaler und gründete einen kleinen Malerbetrieb, der zunächst in der Oberen Metzgerbachstraße, später in der Kiesstraße und schließlich in der Fabrikstraße angesiedelt war. In den 1920er Jahren heiratete Karl Harm, die Familie hatte zwei Söhne und eine Tochter. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die Herstellung von Sternnägeln, Fensterstiften und Blechecken hinzu. Dieser Geschäftszweig entwickelte sich in den 1960er Jahren weiter und firmierte zuletzt 1970, im Todesjahr von Karl Harm, als Karl Harm KG Werkzeugbau, Stanzerei und Spritzguß am angestammten Ort in der Fabrikstraße. Karl Harm hat sich zeitlebens nur in seiner Freizeit und im Urlaub künstlerisch betätigt, seine Bilder wurden nie öffentlich gezeigt. Sie blieben in Familienbesitz oder wurden verschenkt. Die gezeigte Neckarlandschaft zierte lange Zeit die Wohnung des letzten noch lebenden Sohnes von Karl Harm und wurde den Städtischen Museen kürzlich geschenkt.

(Erstellt am 01. August 2023)