Altes Rathaus aus Streichhölzern - August 2025

Das Alte Rathaus in Esslingen, gebaut aus ca. 9.000 Streichhölzern
Hans Csavajda
1990er/2000er Jahre

Aus Holz gebautes Modell des Alten Rathauses in Esslingen.
©Michael Saile

Rund 9.000 Zündhölzer zusammengesetzt und verleimt ergeben das Modell des Alten Rathauses – davon allein etwa 2.800 Hölzchen für die Dachziegel. Wie viele Stunden Arbeit in diesem Modell stecken, lässt sich kaum ermessen. Der Erbauer ist der bereits verstorbene Denkendorfer Werkzeugdreher Hans Csavajda. Über anderthalb Jahrzehnte fertigte er in seiner Freizeit fast 40 Modelle von Gebäuden in der Region, zum Beispiel von der Denkendorfer Klosteranlage oder der Straßenbahn Esslingen-Denkendorf. Lange war das Modell des Esslinger Alten Rathauses in den „Miniaturwelten Stuttgart“ zu sehen, nun hat es seinen Weg in die Städtischen Museen gefunden.

Die Idee, Modelle anzufertigen, ist wohl so alt wie die Menschheit. Die Absichten, die dahinterstecken, variieren: Eiszeitkunst, tönerne Hausmodelle als Urne für Skelettreste, Nachbildungen von Körperteilen als Votivgaben an die Götter – ohne Schriftquellen erschließt sich uns heute nur noch ein Teil der (vermeintlichen?) Bedeutungsebenen. Der Begriff „Modell“ stammt aus der Architektur und wurde seit der Antike im Zusammenhang mit Bauwerksproportionen verwendet. Er leitet sich vom lateinischen „modulus“ ab, der Verkleinerungsform von „modus“ (Maß, Art und Weise). Im Laufe der Jahrhunderte erweiterte sich seine Bedeutung und umfasst bis heute vielfältige Konzepte wie naturwissenschaftliche Beschreibungen oder „Modell für etwas stehen“, wird aber auch als Vorbild, Muster, (Proto-)Typ, Entwurf, Takt und Maßstab verstanden, ohne dass es eine festgelegte Definition gäbe. Im Italienischen meint „modello“ seit dem 15. Jahrhundert plastische Architekturmodelle – verkleinerte Bauwerke, die durch ihre reduzierte Dimension Erkenntnisgewinn ermöglichen. Häufig spielten sie eine Rolle in der Bauplanung, da sie anschaulicher waren als eine zweidimensionale Entwurfszeichnung.

Das hölzerne Modell des Alten Rathauses ist knapp 50 Zentimeter lang und entspricht daher in etwa dem Verhältnis 1:76, einem im Modellbau gängigen Maßstab für Schiffs- und Fahrzeugmodelle. Die kleinen Figuren, die sich auf dem geschotterten Vorplatz aufhalten, stammen hingegen aus dem Modellbahn-Zubehör für Spurweite H0 und entsprechen damit einem Maßstab von 1:87. Das Rathaus wirkt durch die zu kleinen Menschen weitaus wuchtiger, als es eigentlich ist. Der Effekt wird noch dadurch verstärkt, dass die Proportionen des Streichholz- Rathauses nicht ganz stimmig sind: Das Modellgebäude streckt sich weiter in die Höhe als das Original.

In einem Artikel der „Eßlinger Zeitung“ aus den 1990er Jahren erläuterte Hans Csavajda, dass für seine Modellbauprojekte nicht alle Streichhölzer in Frage kämen: In der Regel seien es pro Schachtel etwa zehn Stück, die mit so exaktem, quadratischem Querschnitt und so schnurgerade gefertigt seien, dass er sie für den Bau verwenden könne. Die präzise aneinander gefügten und miteinander verleimten Hölzchen wirken auf den ersten Blick wie kleine Brettchen. Erst bei genauem Hinsehen wird erkennbar, wie fein die einzelnen Elemente gearbeitet wurden.

Im Gegensatz zu wissenschaftlichen Modellen, die einem bestimmten Lehr- oder Bildungszweck folgen, spielen im Hobbymodellbau, wie Hans Csavajda ihn betrieb, Lernen oder Erkenntnisgewinn nicht die Hauptrolle. Im Vordergrund stehen stattdessen Kreativität, Freude am präzisen Arbeiten, Geduld, Konzentration und Zeit für sich oder mit Gleichgesinnten, um dem Alltag zu entfliehen. Für ein solches Hobby braucht man frei verfügbare Zeit. Auch Csavajda berichtete, dass er sich erst mit dem Renteneintritt seiner Bauleidenschaft voll und ganz widmen konnte.

Freizeit, die für ein solches Hobby genutzt werden kann, ist ein junges Phänomen. Für einen Großteil der westlichen Gesellschaft ergab sich erst ab dem späten 19. Jahrhundert mit der Arbeiterbewegung und der schrittweisen Verkürzung der Arbeitszeit das Konzept der frei verfügbaren Zeit. Mit der 40-Stunden-Woche und dem Wirtschaftswunder erfuhr auch das Hobby Modellbau einen Aufschwung. Bis heute ist die Faszination, das Große im Kleinen darzustellen, ungebrochen.

(Erstellt am 05. August 2025)