Puppenstube der Familien Schreiber und Schimpf
Puppenstube der Familien Schreiber und Schimpf
Holz, Papier, Blech, Stoff, Kupfer, Steingut, Ton, Keramik, Glas, Plastik, Porzellan, Stroh
Ca. 1880-1940
(Städtische Museen Esslingen, STME 008004 – STME 008008)

Puppenstuben sind in Museumssammlungen keine Seltenheit. Nur wenige sind allerdings stadtgeschichtlich bedeutsam und zudem so umfangreich wie der Neuzugang im Stadtmuseum. Mit Einrichtungsgegenständen aus Küche und Salon bzw. Wohnstube, zahlreichen Püppchen und vielem mehr umfasst sie 688 Einzelteile. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts waren vier Generationen der Familien Schreiber und Schimpf am Sammeln und Zusammenstellen beteiligt. 1987 erwarb der Geschichts- und Altertumsverein Esslingen (GAV) die Puppenstube von Rosemarie Merz. Nach ihrem Tod 2021 ging das Ensemble schließlich in die Sammlung der Städtischen Museen über.
Rosemarie Merz war die Enkelin von Rosa Helene Schimpf, deren Ehegatte Ernst Schimpf Inhaber der Esslinger Handschuhfabrik Bodmer war. Rosa Helene Schimpf wurde im Gebäude Hafenmarkt 7, dem heutigen Stadtmuseum geboren. Ihre Eltern waren der Komponist Christian Fink und Rosa Fink, die älteste Tochter vom Verlagsgründer Jakob Ferdinand Schreiber. Als solche erbte sie 1867 das Gelbe Haus von ihrem Vater und wohnte dort mit ihrer Familie bis zu ihrem Tod 1912. Die Puppenstube erhielt Rosa Fink vermutlich schon als kleines Mädchen und spielte damit bereits in den 1840er Jahren im Gebäude des heutigen Stadtmuseums.
Im Laufe der Jahrzehnte wuchs das Inventar immer weiter an, sodass das Ensemble eine unglaubliche Vielfalt aufweist. Von der winzigen Stricknadel bis hin zum stattlichen Backofen ist alles dabei, was Kinderherzen einst höherschlagen ließ. Dabei waren Puppenstuben ursprünglich gar nicht als Spielzeug gedacht. Seit dem 16. Jahrhundert stellten wohlhabende Patrizierfamilien ihren Reichtum zur Schau, indem sie ihre Wohnhäuser im Miniaturformat nachbauen ließen. Spielen war allein aufgrund der kostbaren und meist sehr fragilen Ausstattung natürlich nicht erwünscht. Ende des 18. Jahrhunderts kam eine neue pädagogische Sicht auf das Spielverhalten der Kinder auf. Ging man zuvor noch davon aus, dass Spielen ein unnötiger Zeitvertreib war, erkannte man nun den damit verbundenen Lerneffekt. In der Folge bestanden Puppenstuben nicht mehr aus kompletten Gebäuden, sondern wurden kindlichen Maßen angepasst und begrenzten sich auf einzelne Räume, die nach oben hin geöffnet waren. Besonders beliebt waren dabei Küchen und Salons bzw. Wohnstuben.
Die möglichst wirklichkeitsnahe Gestaltung der Puppenstuben liefert heute ein Spiegelbild der einstigen bürgerlichen Wohnkultur und deren Wandel im Laufe der Jahrzehnte. Dies lässt sich auch in der Puppenstube der Familien Schreiber und Schimpf erkennen. Große Holzmöbel, Kamine, goldene Tischuhren oder Vogelkäfige zeigen das Bild einer typischen bürgerlichen Wohnstube im ausgehenden 19. Jahrhundert. An der Puppenküche lässt sich wiederrum ein Wandel erkennen. So steht der eiserne Herd mit integrierten Backröhren für eine neue Art des Kochens, die erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts aufkam. Zuvor wurde in Küchen noch über offenem Feuer mit Rauchfang gekocht.
Auf den ersten Blick wirkt das Ensemble mit seinen liebevoll gestalteten und teilweise überaus filigranen Teilen besonders hochwertig. Tatsächlich handelt es sich aber zum Großteil um industriell hergestellte Massenware. So wurden beispielsweise die Blechmöbel der Wohnstube in den 1880er Jahren von der Biberacher Firma Rock & Graner gefertigt. Diese war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts der größte Hersteller von Blechspielzeugen in Deutschland. Dementsprechend sind die Produkte der Firma auch heute noch relativ häufig zu finden. In der Puppenstube der Familien Schreiber und Schimpf dürften sie zu den ältesten Teilen zählen. Als eindeutig der ersten Generation zugehörig, also den Kindheitstagen von Rosa Fink, geb. Schreiber, ist bei der hier vorgestellten Puppenstube nichts mehr zu identifizieren. Gleichwohl ist die Puppenstube ein Abbild bürgerlicher Wohnkultur des 19. Jahrhunderts und zeigt, dass diese auch im Gelben Haus in Esslingen besonders wertgeschätzt wurde.