Bildnisse - Februar 2025

Bildnisse von Christian Gottlieb und Johanna Rosina Williardts
Johann Jacob Ihle (1702–1774), 1765
Städtische Museen Esslingen, ST ME 006710 und ST ME 006709

Gemälde aus dem 18. Jahrhundert: links:Porträt eines Mannes, rechts: Porträt einer Frau
Fotografien: Michael Saile

Vor 260 Jahren schuf der Esslinger Porträtist Johann Jacob Ihle (1702–1774) die Bildnisse von Christian Gottlieb Williardts (1712–1779) und dessen Ehefrau Johanna Rosina (1720–1788), geborene Bengel. Solche Doppelporträts von Ehepaaren waren besonders in städtischen Führungskreisen der damaligen Zeit beliebt. Sie dienten der familiären Erinnerungskultur und wurden häufig zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten oder Jubiläen in Auftrag gegeben.

Obgleich der genaue Auftragsanlass nicht überliefert ist, geben die Gemälde einen vielschichtigen Einblick in den Wertekanon und Lebensstil dieser bedeuteten Esslinger Familie des 18. Jahrhunderts. Johann Christian Gottlieb war Kaufmann, Verwalter der Güter der mit ihm nah verwandten Familie von Palm, zeitweise Mitglied im Esslinger Rat, und seit 1747 „Kays[erlicher]: Maj[es]t[ätischer]: Würkl[icher]: Rath [...]“ in Wien, wie die Beischrift auf der Rückseite seines Porträts informiert. Er bekleidete damit ein hohes höfisches Amt. Johanna Rosina Bengel war die Tochter des einflussreichen Denkendorfer Theologen und Bibelforschers Johann Albrecht Bengel (1687– 1752), der als führende Gestalt des schwäbischen Pietismus gilt. Die beiden Porträts vereinen Elemente einer höfisch geprägten Welt, die auf Repräsentation und Status bedacht war, mit einer tief verwurzelten pietistischen Lebenshaltung, die in zahllosen Details der Darstellungen zum Ausdruck kommt.

Der Pietismus, eine bibelzentrierte Erneuerungsbewegung, entstand in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Reaktion auf die starre Orthodoxie der Landeskirchen und eine tiefgreifende geistig-moralische Krise innerhalb der Gesellschaft, die auch Esslingen stark gezeichnet hatte. Sein Ziel war die Förderung einer persönlichen, gelebten Frömmigkeit und einer bescheidenen, sittlich-moralischen Lebensführung.

In pietistischen Kreisen war die Annahme verbreitet, im Antlitz des Menschen das Abbild Gottes erkennen zu können. Dementsprechend sticht im Gemälde der Johanna Rosina das Gesicht aufgrund der blassen Gesichtshaut kontrastreich vor der dunklen Kleidung und dem Hintergrund hervor. Der ernste Blick und die leicht herabgezogenen Mundwinkel sind Ausdruck der religiösen Ernsthaftigkeit, die fest mit dem württembergischen Pietismus verbunden war. Auch die Kleidung und Haltung der Dargestellten tragen zur Kommunikation dieser Werte bei. Johanna Rosina ist fast vollständig in Schwarz gekleidet, wodurch sie nahezu mit dem dunklen Hintergrund verschmilzt. Die schlichte Darstellung kontrastiert mit der höfischen Eleganz ihres Mannes, die auf seine hohen politischen Würden verweist, und erscheint zugleich als Mahnung zur Bescheidenheit. Beide verkörpern die Idee, innere Werte über äußeren Glanz hinaus sichtbar zu machen.

Ein weiteres charakteristisches Merkmal der Porträts ist die symbolisch aufgeladene Handhaltung der Dargestellten. Christian Gottlieb verbirgt seine rechte Hand unter der Weste – eine aus der antiken Rhetorik entlehnte Geste, die den Zeitgenossen als Zeichen des Maßhaltens bekannt war und als Ausdruck einer selbstbeherrschten und bescheidenen Politik- und Lebensführung galt. Auch Johanna Rosinas Handhaltung fällt auf. Ihre Hand in Hüfthöhe, mit gespreiztem kleinen Finger und zusammengeführten Mittel- und Ringfingern, findet sich ähnlich auf Porträts ihres Vaters und anderer Theologen der Zeit, insbesondere Pietisten, und war in ihrer Bedeutung wohl nur innerhalb der damaligen Glaubensgemeinschaft verständlich.

Das Ehepaar Williardts lebte im Palmschen Stammhaus am Hafenmarkt 1 in Esslingen. Unter ihrer Führung wurde es zu einer einflussreichen „Herberge für viele Kinder Gottes“, in der hohe Beamte, Kirchenvertreter und berühmte Persönlichkeiten aus pietistischen Kreisen zu regelmäßig stattfindenden außerkirchliche Erbauungs- und Bibelstunden einkehrten.

Die Familie bewohnte das Haus bis 1873, wie die Urenkelin Charlotte Zeller (1815–1899) in ihren handschriftlichen Biografien über die Bewohner, das Haus und dessen Rolle als Zentrum pietistischer Kultur in Esslingen festhielt. Eine darin enthaltene Skizze der Wohn- und Schlafstube belegt, dass Porträts über Generationen hinweg hier aufgestellt waren und damit gleichsam als Aushängeschilder pietistischer Lebensweise fungierten. Ob die beiden Bildnisse, die sich heute in der Sammlung der Städtischen Museen befinden, ebenfalls und vielleicht an prominenter Stelle im Haus platziert gewesen sind, bleibt vorerst ungewiss.

Zum Entstehungszeitpunkt der Bilder war das Ehepaar seit 28 Jahren verheiratet – Christian Gottlieb war 53 Jahre alt und Johanna Rosina 45. In jenem Jahr erkrankte Johanna Rosina schwer, was möglicherweise Anlass zur Anfertigung der Bildnisse gab. Die Gemälde stehen stellvertretend für eine rege Esslinger Porträtkultur des 18. Jahrhunderts.

(Erstellt am 01. Februar 2025)