Stuckdecke des Patrizierzimmers - Juli 2025

Stuckdecke des Patrizierzimmers
Architekt und Stuckateur unbekannt
um 1702/1703
Hafenmarkt 7, Esslingen am Neckar

Decke des Patrizierzimmers mit reicher Stuckverzierung.

Am Hafenmarkt 7 ließ Paul Burgermeister von Deizisau nach dem großen Stadtbrand ein Fachwerkpalais errichten, das nach außen hin als schlichtes, aber massives Steingebäude erscheint. Es ist kein Zufall, dass sein Wohnhaus unmittelbar an ein Gebäude angrenzte und diesem bewusst optisch angepasst wurde, das schon damals als symbolträchtig galt: Der wehrhaft wirkende Wohnturm eines Patriziers aus dem 13. Jahrhundert. Selbst in Geislingen geboren, erhielt Paul Burgermeister erst durch Heirat in eine angesehene Esslinger Familie das Bürgerrecht und ließ sich 1704 seine Herkunft aus altem Esslinger Stadtadel kaiserlich bestätigen, um in den Reichsritterstand erhoben zu werden.

Dies mag seine politische Karriere begründet haben, die ihn ab 1705 in den Geheimen Rat der Stadt und ab 1708 insgesamt fünfmal ins Amt des Bürgermeisters führte. Vor diesem Hintergrund ist auch die reiche Ausstattung der der Beletage zu sehen, die er vermutlich für repräsentative Empfänge nutzte. Der Saal im ersten Obergeschoss wurde nicht zentral in die Mitte der Fassade gesetzt, sondern in die Nordwestecke verlegt. Damit verwies man auf die eigene, alteingesessene stadtadlige Herkunft und deren Bautradition.

Für die Ausgestaltung des Deckenstucks war möglicherweise ein Stuckateur verantwortlich, den Burgermeister auf seiner Bildungsreise oder vor Ort kennengelernt hatte – vermutlich derselbe, der kurz darauf am Reichstädtischen Rathaus tätig war. Die Qualität bleibt zwar hinter zeitgleichen Werken der Umgebung zurück, dies schmälert jedoch nicht die symbolisch aufgeladene Ausstrahlungskraft, die der Bauherr hier versinnbildlichen haben wollte: Der in der äußeren Zone umlaufende Akanthusfries wird in den vier Ecken jeweils von einem Reichsadler unterbrochen, der auf Esslingens Status als Freie Reichsstadt anspielt sowie die unmittelbare Verbindung zwischen reichsstädtischer Ratsaristokratie und kaiserlicher Autorität symbolisiert. Die das Mittelfeld umgebenden vier Eckmedaillons sind jeweils mit antikisierenden Henkelkrateren ausgefüllt, die zusammen als Zyklus der vier Jahreszeiten gelesen werden können – ein beliebtes Thema der frühneuzeitlichen Ausstattungskunst. Burgermeister könnte mit diesem Motiv bereits während seiner Bildungsreise in Berührung gekommen sein, die ihn bis an den Hof von Versailles führte. Dort hatte Charles Le Brun wenige Jahre zuvor ein allegorisches Programm der vier Jahreszeiten als Gartenskulpturen für Ludwig XIV. entworfen, doch wurde das Thema im Burgermeister’schen Haus sehr reduziert und ungewöhnlich variiert umgesetzt. So zeigt sich über der hinteren, nördlichen Fensterwand der Frühling als Blumenstrauß mit Lilien und Tulpen. Nebenan erscheinen oben Kornähren als Sommermotiv, über dem Gefäßrand sind Früchte erkennbar. Über der vorderen Wandseite versinnbildlichen Weintraubenranken den Herbst – sicherlich in doppelter Funktion auch ein Hinweis auf Esslingen als traditionelle Stadt des Weinbaus und der städtischen Prosperität.

Das nebenliegende Eckmedaillon stellt folglich den Winter dar, weicht jedoch sinnfällig von der rein floralen Gestaltung der anderen Jahreszeiten ab: Der Gefäßmündung entspringen Blumenzweige mit schwachen Trieben. Der sich aus der Feuerschale erhebende und von Putti begleitete Vogel ähnelt in seiner Gestalt den vier Adlern in den Ecken des Deckenfrieses – wohl ein Phönix, der hier doppeldeutig als Metapher sowohl für den Wiederaufbau Esslingens nach dem Stadtbrand als auch für die angestrebte Wiedererhebung der Familie Burgermeister im Reichsadel steht.

Wie der Bauherr bewusst einen symbolträchtigen Ort wählte, der auf Esslingens Blütezeit als Freie Reichsstadt verweist, entschied sich auch Verleger J. F. Schreiber im 19. Jahrhundert für dieses Haus. Er gestaltete den Saal zu einem Wohnraum, der als Gesamtkunstwerk seinen wirtschaftlichen Erfolg und das Selbstverständnis des neuen Bürgertums ausdrückt. Nach dem Verlagsauszug 1872 verlor das Haus zwar seine repräsentative Funktion, blieb jedoch ein bedeutendes Denkmal der Kultur-, Wirtschafts- und Stadtgeschichte. Seit 1912 im Besitz der Stadt Esslingen, diente es verschiedenen Behörden, darunter als Polizeigebäude. 1950 wurde der angrenzende Patrizierturm hinzugekauft; 1989 wurde das Stadtmuseum hier eröffnet. So verdichten sich in Hafenmarkt 7 und 9 rund 800 Jahre Esslinger Stadtgeschichte – sichtbar außen wie innen.

(Erstellt am 17. Juli 2025)