Reisetruhe des Missionars Thomas Digel
Holz, Eisen, Zinnblech, Papier
1898
(Städtische Museen Esslingen, STME 008060)

Im März 1898 endete die Zeit von Thomas Digel und seiner Familie in Indien. Als evangelischer Missionar lebte und arbeitete er dort 32 Jahre. Nun trat das Ehepaar Digel die Heimreise an. Mit an Bord war diese Truhe, die einen Blick auf die Reiseroute ermöglicht: Von der westindischen Hafenstadt Mangalore (heute Mangaluru) ging es zunächst bis Bombay, dem heutigen Mumbai. Hier betraten die Digels den Dampfsegler „Imperator“, auf welchem sie bis Triest fuhren. Von dort ging es weiter zu ihrem Zielort Esslingen. Was sich in der Reisetruhe befand, ist nicht bekannt. Wer Thomas Digel war, hingegen schon.
Thomas Digel wurde am 28. Juli 1840 in Neuffen geboren und entschied sich im Alter von 17 Jahren in die Basler Mission einzutreten. Diese 1815 gegründete Institution bildete Missionare aus, vermittelte sie weiter oder sandte sie ab 1828 direkt aus der Schweiz nach Indien, Afrika und China. Nach einer siebenjährigen Lehrzeit in Basel wurde Digel im Jahr 1864 nach Indien geschickt, wo er in Mangalore seinen Dienst verrichtete. Hier sollte er mit der heimischen Bevölkerung eine Dorfkultur nach süddeutschem, christlich-pietistischem Vorbild aufbauen. Die Basler Mission legte dabei Wert auf einen respektvollen Umgang mit der indischen Kultur. So wurde etwa in den erbauten Missionarsschulen in der Sprache der Einheimischen, nicht etwa in der Kolonialsprache unterrichtet. Zudem machten sich einige Missionare wie etwa der Stuttgarter Hermann Gundert in der Erforschung der indischen Sprachfamilien verdient.
Missionare der Basler Mission reisten unverheiratet in ihr Zielland und durften erst nach zwei Jahren, wenn sie sich bewährt hatten, um eine Heiratserlaubnis bitten. Hierbei konnten sie entweder selbst eine Frau aus dem Heimatland vorschlagen oder sie schickten ein Telegramm an das Komitee in der Schweiz, mit der Bitte eine geeignete Partnerin für sie zu suchen. Die Bräute reisten anschließend nach Übersee, wo die Hochzeit stattfand. Ihren zukünftigen Ehemann kannten sie zuvor nur durch ein Bild und ein paar Briefe. Thomas Digel wurde auf diese Weise dreimal verheiratet. Mit Marie-Emilie Digel-Herrmann, der dritten Ehefrau, verbrachte er laut dem Tagebuch seiner Tochter eine glückliche Ehe, die von Leid und Freud gleichermaßen geprägt war. Das Paar hatte sieben gemeinsame Kinder, die jedoch fern von den Eltern aufwuchsen. Der Tradition der Basler Mission entsprechend, wurden die Kinder im Alter von sechs Jahren in das Heimatland ihrer Eltern geschickt, um sie vor dem „heidnischen Einfluss zu bewahren“ und christlich-europäisch erzogen zu werden. Fortan wohnten sie im Basler Missionshaus und bei Verwandten im Elsass. Zu den Eltern in Indien bestand lediglich ein unregelmäßiger Briefkontakt. Kurz nachdem das Ehepaar Digel im Frühjahr 1898 in Esslingen ankam, reisten sie nach Basel auf ein Fest der Mission. Die 17jährige Tochter Maria begleitete ihre Eltern im Anschluss nach Esslingen. Bezeichnend für das distanzierte Verhältnis ist ein Tagebucheintrag Marias kurz nach der Ankunft in Esslingen: „Aber wie undankbar bin ich doch, dass ich Heimweh habe wo ich doch meine Eltern jetzt habe.“
Thomas Digel war in Esslingen weiterhin als Prediger tätig und hielt des Öfteren Gottesdienste in Sulzgries. Die indische Kultur brachte er mit nach Esslingen. So war etwa Curry und Reis ständig auf dem Speiseplan der Familie. Auch Auftritte Digels in indischer Tracht zeugen von der Verbundenheit des Missionars zu dem Land, in dem er einen Großteil seines Lebens verbrachte. 1909 verließ das Ehepaar Digel Esslingen erneut und zog in die Nähe von Zürich, wo Thomas als Kurgeistlicher eine Anstellung fand. Dort starb er am 14. Februar 1913.
Die Reisetruhe gelangte in den Besitz des Schwiegersohns Fritz Spellig. Nach dessen Tod 1969 wurde die Truhe vom Urgroßenkel Thomas Digels, auf dem Dachboden gefunden. Dieser schenkte sie einem Freund, der die Truhe jahrelang als Sideboard benutzte, bis er sie im Jahr 2023 an die Städtischen Museen Esslingen übergab.