Serviertablett "Rheinfall"

Serviertablett
um 1870
Blech, lackiert und bedruckt
Metallwaren-Fabrik C. Deffner, Esslingen
(Städtische Museen Esslingen, STME 006909)

Schwarzes Tablett mit abgerundeten Ecken. Darauf sind orangene Verzierungen und eine orangefarbene Ansicht des Rheinfalls gedruckt.
Fotografie: Michael Saile

Die „Lackier- und Metallwaarenfabrik“ von Carl Deffner, gelegen am Neckar, wo heute das neue Esslinger Landratsamt gebaut wird, produzierte im 19. Jahrhundert lackierte Metallwaren. Aus Eisenblech verfertigte Haushaltsgegenstände waren rostanfällig und wurden dadurch unansehnlich und hygienisch zweifelhaft. Dem konnte man durch eine Lackierung begegnen. Der Lack schützte und sah hübsch aus. Aber bei Deffner kam man zusätzlich noch dem dekorativen Bedürfnis der Zeit entgegen und gestaltete Alltagsgegenstände durch abstrakte Dekors und sogar durch richtige Bilder. Das Tablett mit dem Rheinfall bei Schaffhausen aus den 1860/70er Jahren zeigt das sehr schön.
Der Rheinfall, größter Wasserfall Europas mit 23 Meter Höhe und 150 Meter Breite und einer durchschnittlichen Wasserführung von 373 Kubikmetern pro Sekunde, ist ein Produkt der letzten Eiszeit und etwa 17000 Jahre alt.
Schon im Mittelalter wurde von ihm berichtet und seit 400 Jahren wurde er häufig abgebildet. Wer auch nur halbwegs in der Nähe war und es sich leisten konnte, besuchte dieses Naturwunder. Der viel reisende Goethe etwa war auf seiner dritten Schweizerreise am 18. September 1797 dort und schrieb eine Woche später unter Hinweis auf dessen Ballade vom „Taucher“ an den Dichterkollegen Friedrich Schiller: "Bald hätte ich vergessen Ihnen zu sagen daß der Vers: es wallet und siedet und brauset und zischt pp. sich bey dem Rheinfall trefflich legitimirt hat, es war mir sehr merkwürdig wie er die Hauptmomente der ungeheuern Erscheinung in sich begreift.“
Mit dem Aufkommen der Eisenbahn um die Jahrhundertmitte begann hier der Massentourismus. Da brauchte es massentaugliche Erinnerungsbilder. Das schwarze Tablett mit der goldenen Ornamentik verbindet seine praktische Funktion als hauswirtschaftliches Arbeitsgerät mit dem bekanntesten Blick auf diesen imposanten Fall, das sich seit Generationen in unserem Bildgedächtnis befindet: Die Perspektive von der rechten Rheinseite unterhalb des Falls auf den Ort Neuhausen links und das Schloss Laufen rechts, dazwischen, geteilt durch den großen Rheinfallfelsen, der donnernd in die Tiefe stürzende Fluss.
Der Rheinfall war keine zum Selfiehintergrund herabgesunkene, längst bekannte Kulisse, sondern warf die Menschen buchstäblich um und riss sie zu Begeisterungsrufen hin: „Halte dein Herz, o Wanderer, fest in gewaltigen Händen! Mir entstürzte vor Lust zitternd das meinige fast. Rastlos donnernde Massen auf donnernde Massen geworfen, Ohr und Auge, wohin retten sie sich im Tumult?“ beginnt Eduard Mörikes Gedicht über seinen Besuch des Falls 1846.
Das Eisenbahnviadukt knapp oberhalb des Falles, das seit 1857 Schaffhausen mit Winterthur und Zürich verbindet, gehörte zum festen, damals modernen Inventar der Abbildungen. Wenn dazu darüber der Vollmond leuchtete, und das ist hier der Fall, wurde der romantische Effekt maximal. Die biedermeierlichen Andenkenmaler hatten ähnliche Bilder schon in den 1820/30er Jahren in ganz Europa bei einer betuchten Klientel abgesetzt. Aber moderne Reproduktionstechniken waren effektiver, erlaubten höhere Auflagen, waren damit preiswerter und entsprachen den Erfordernissen des immer massenhafter werdenden Tourismus. So auch hier, wo mit einer Art Abziehbild eine graphische Vorlage auf das bereits mit einer immer passenden Standard-Randverzierung versehene Blechtablett übertragen wurde. Und so wurde aus dem Gebrauchsgegenstand, mit dem man Geschirr von der Küche ins Esszimmer trug, gleichzeitig ein emotional aufgeladenes Bild.
Von den Anfängen mit einem Objekt wie diesem Esslinger Blechtablett bis heute nutzt die touristisch orientierte Souvenirindustrie die Verbindung von erinnerungsgeladenem Bild, praktischer Verwendung und massenhafter Produktion. Im 19. Jahrhundert war das privat besessene Bild jedoch noch recht selten und seine Attraktivität ungleich höher als in unserer bilderüberfluteten Gegenwart.

(Erstellt am 01. November 2023)