Intensiver Austausch am OP-Tisch
Im Rahmen der Solidaritätspartnerschaft zwischen Esslingen und Kamianets-Podilskyi sind ukrainische Ärztinnen und Ärzte eine Woche lang zu Gast am Klinikum Esslingen.Sie hospitieren bei Chefarzt Professor Dr. Ludger Staib im Bereich der Bauchchirurgie.

Wertvoller Wissenstransfer
Selbst für das Interview mit der Presse nehmen sich Iryna Yarychevska und Oksana Shalvinska nur ein paar Minuten Zeit. Die beiden Anästhesistinnen aus der Ukraine würden vermutlich im OP-Saal übernachten, wenn sie könnten: „Sie wollen soviel an Erfahrungen und neuem Wissen mitnehmen, wie es nur geht“, erzählt Katrin Radtke, Esslingens Beauftragte für Städtepartnerschaften.
Die beiden Ärztinnen sowie die beiden Viszeralchirurgen Gryniv Oleksandr und Stryshka Ruslan sind im Rahmen der Solidaritätspartnerschaft zwischen Esslingen und Kamianets-Podilskyi eine Woche lang zu Gast am Klinikum Esslingen, um bei Chefarzt Professor Dr. Ludger Staib im Bereich der Bauchchirurgie zu hospitieren. Jeden Tag setzen sie sich von 8 bis 15 Uhr mit minimalinvasiven Techniken sowie modernen Techniken der Anästhesie und Narkoseführung auseinander, lernen Abläufe und Qualitätsstandards im deutschen Gesundheitswesen kennen.
Und es bleibt nicht bei der Theorie: „Die Chirurgen assistieren am OP-Tisch bei minimalinvasiven Operationen und können mithilfe von Dolmetschern über ihre eigenen Techniken und Erfahrungen berichten“, erzählt Dr. Ludger Staib, der seinen Kollegen unter anderem das Arbeiten mit der 3D-Brille näherbringt.
Intensive Gespräche
Er freut sich über die seltene Gelegenheit, einen so intensiven Austausch zu begleiten, der sich auch nicht nur auf die eigene Disziplin beschränkt. Auch zur allgemeinen medizinischen und politischen Situation in der Ukraine habe es sehr gute Gespräche gegeben: „Beklemmend sind die Berichte, dass nahezu kein Tag ohne mehrere Angriffsalarme vergeht, am Himmel Drohnen und Raketen zu sehen sind und dass sie zum Aufsuchen von Kellern und Schutzbunkern gezwungen sind“, erzählt Dr. Ludger Staib.
Zwar befindet sich Kamianets-Podilsky in der Westukraine und damit noch weit weg vom Frontverlauf. Die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs sind trotzdem auch im Klinikalltag zu spüren: „Wir haben mehr Notfälle und müssen noch schneller reagieren. Das Arbeiten ist noch intensiver geworden“, erzählt Anästhesistin Oksana Shalvinska. Umso größer ist die Dankbarkeit, in Deutschland lernen zu können: „Mit unserem neuen Wissen können wir unserem Land, unserer Stadt, unserem Krankenhaus und unseren Patienten besser helfen“, sagt Iryna Yarychevska.
Bei dem Hospitationsprogramm geht es jedoch nicht nur um einen direkten Wissenstransfer in den Alltag, sondern auch um einen langfristigen Blick. Der Austausch soll auch zur nachhaltigen Entwicklung medizinischer Strukturen in der Ukraine beitragen. „Wenn das Land einen EU-Beitritt anvisiert, dann muss das Gesundheitswesen in der Ukraine an den europäischen Standard angeglichen werden“, sagt Katrin Radtke. Ziel sei es deswegen, dass es nicht bei diesem einen Hospitationsprogramm bleibt, sondern sich solche Austauschmöglichkeiten auch für andere medizinische Bereiche ergeben.
Bausteine der Partnerschaft
Der Besuch der ukrainischen Ärztinnen und Ärzte ist ein Baustein der Solidaritätspartnerschaft, die seit April 2023 zwischen Esslingen und der westukrainischen Stadt Kamianets-Podilskyi besteht. „Unser Ziel ist eine langfristige Hilfe und eine Zusammenarbeit, die nicht nur von Rathaus zu Rathaus besteht, sondern breiter verankert ist“, sagt Katrin Radtke. Deswegen besteht die Unterstützung seit Anfang aus viel mehr als Sachspenden.
Inzwischen ist auf ganz verschiedenen Ebenen auf den Bedarf in Kamianets-Podilskyi eingegangen worden: Kooperationen gibt es unter anderem zwischen den Feuerwehren oder den Hochschulen. „Wir haben auch die Diakonie gefragt, wie traumatisierten Kindern in Kamianets-Podilskyi geholfen werden kann oder haben bei Jugendbegegnungen mit Theatern und Sportvereinen zusammengearbeitet“, sagt Katrin Radtke.
Bei Gesprächen mit ihren ukrainischen Kontakten spüre sie aktuell wieder eine starke Anspannung: „Seit drei Wochen gibt es täglich Luftalarm, das zehrt sehr.“ Zudem sei die Sorge um die Energieversorgung groß, die jetzt – vor dem Winter – wieder verstärkt im Fokus der russischen Angriffe stehe. „Der Druck ist groß – und das haben auch unsere Gäste berichtet. Sie sind deswegen sehr dankbar, dass sie sich hier Wissen aneignen können, mit dem sie den Menschen in ihrer Heimat noch besser und schneller helfen können.“
Büro des Oberbürgermeisters
